SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

„Das Wesen der Religion ist nicht Denken und Handeln, sondern Anschauung und Gefühl.“ Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher hat diesen Satz vor 220 Jahren geschrieben. Er war der wohl bedeutendste und in seiner Wirkungsgeschichte einflussreichste ev. Theologe des 19. Jhdts, was ihm die Bezeichnung Prot. Kirchenvater einbrachte. Dreh- und Angelpunkt seines Wirkens war Berlin, wo er als überaus geachteter Professor, beliebter Prediger und Gemeindepfarrer tätig war.

Heute vor 185 Jahren, am 12. Februar 1834, ist Schleiermacher gestorben. „Das Wesen der Religion ist nicht Denken und Handeln, sondern Anschauung und Gefühl.“ Ich finde das beeindruckend, was er da in seiner berühmten Schrift „Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern“ schreibt. Er schreibt damit an gegen die kalte Vernünftigkeit und Rationalität der Aufklärung. Gefühl ist für ihn die alles bestimmende Grundlage des Glaubens. Das war revolutionär. Provokant.

Allerdings frage ich mich, ob man Denken und Handeln so einfach bei Seite schieben kann. Auch der Glaube braucht die Vernunft und äußert sich in verantwortlichem Handeln. Glaube ohne Vernunft endet in Fanatismus oder einer unbestimmten Gefühligkeit. Und ohne Handeln entzieht er sich seiner Verantwortung in dieser Welt. Beides gehört zum Glauben, zur Religion dazu.

Vielleicht ist dies aber ein viel zu schnell gefälltes Urteil. Denn umgekehrt ist es doch auch so: ein Glaube, der nichts anderes als die Vernunft, das Rationale kennt, dem fehlt das Herz und die Begeisterung. Ebenso kritisch ist ein Handeln zu hinterfragen, das keine wirkliche Anteilnahme und Zuwendung kennt.

In diesem Sinne stimme ich Schleiermacher zu. Glaube lebt wesentlich davon, ein Gefühl für Gott und ein Herz für die Menschen zu haben. Schleiermacher ging es darum, mit „Anschauung und Gefühl“ zu denken und zu handeln. Einen „Sinn und Geschmack fürs Unendliche“ zu haben, wie er an anderer Stelle formuliert.

Ja, so möchte ich glauben. Gerade in unserer technisierten und oft so kaltherzigen Welt von heute. Mit Herz und Mund und Händen und all meinem Verstand. Und so die Verbundenheit mit allem Sein spüren. Bei einem Spaziergang in der Natur. In der Begegnung mit einem anderen Menschen. Oder auch im stillen Gebet. Je mehr ich darüber nachdenke, desto besser fühlt es sich an.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=28112
weiterlesen...