SWR1 Begegnungen

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© Steffen Leiprecht/froggypress.deCharlotte Knobloch ist die ehemalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland. Ich treffe sie in der Israelitischen Kultusgemeinde von München und Oberbayern, deren Präsidentin sie ist. Die 86-Jährige zeigt mir auf einem Dachbalkon mitten in München die jüdische Grundschule und das jüdische Gymnasium. Wir hören die Stimmen der fröhlich-spielenden Kinder auf dem Pausenhof. Das war nicht immer so. Vor 80 Jahren am 09.11.1938 erlebte Charlotte Knobloch die Reichspogromnacht als sechsjähriges Mädchen und war auf der Flucht mitten in München:

Mein Vater wurde anonym darauf hingewiesen - Es ist etwas gegen die Juden im Gange -  und er soll mit seiner Familie auf die Straße gehen und auch dort bleiben. Auf dem Weg zur Synagoge sind wir beim Kaufhaus Uhlfelder vorbei gegangen, da waren schon die Scheiben eingeschlagen. Aber zuerst wollte er natürlich die Synagoge sehen, die in dem Zustand, wie wir sie angetroffen haben, noch voller Rauch stand. Und als ich sie gesehen habe, hab ich bitterlich zu weinen angefangen. Weil da gegenüber auch mein Kindergarten und meine Schule lagen. Er zog mich sofort weg, weil er hatte Angst. Es waren ja  Menschen dort, die nichts sagten. Und sich nicht äußerten. Meine einzige Frage war dann nur: „Wieso kommt denn eigentlich die Feuerwehr nicht?“

Doch die Zerstörung und der Hass vom 9.11.1938 kamen nicht über Nacht – Charlotte Knobloch erlebte sie seit der Machtergreifung Hitlers jeden Tag als Kind in München:

Dieses Wissen um die Ausgrenzung, die begann ja schon, als ich nicht mehr mit anderen Kindern spielen durfte, weil ich ein Judenkind war. Es begann ja schon, dass meine Klavierlehrerin nicht mehr kommen konnte, weil sie kein jüdisches Kind unterrichten durfte.

Und es kam noch viel schlimmer: Als ihr Vater, ein Rechtsanwalt, versuchte wie viele andere Juden nach Amerika auszuwandern, bekam er eine Einreisegenehmigung für seine Tochter und sich – aber nicht für seine alte Mutter. Die wollte er aber auf keinen Fall alleine zurücklassen. Die Familie bleibt zusammen und wird dann getrennt, als die Nazis einen Transport für ältere Menschen und Kindern anordnen und einer aus der Familie gemeldet werden muss. Die Großmutter erklärt sich bereit, damit Charlotte überlebt:

Als sie sich von mir verabschiedet hatte, wusste ich genau, dass ich sie nie mehr wiedersehen würde. Die Zusammenhänge hab ich dann erst nach ´45 erfahren.

Der Vater versteckt Charlotte alsbald bei einer befreundeten katholischen Bäuerin in Franken, die Charlotte Knobloch das Leben rettet. Kreszentia Hummel, genannt Zenzi, nahm dafür ein hohes Risiko und die Schmach des ganzen Dorfes auf sich:

Sie war eine sehr religiöse Frau, sie hat alles auf sich genommen, was der Dorfklatsch dann anscheinend erfunden hat, bei meinem Erscheinen: „Jetzt bist du da mit deinem Bankert!“

Damit stempelten sie Charlotte als uneheliches Kind von Zenzi ab. Nur der Pfarrer ist eingeweiht und schützt die fromme Frau mit dem jüdischen Mädchen. Charlotte Knobloch bleibt unerkannt und überlebt. Wie sie die Situation der Juden in Deutschland heute einschätzt, hören Sie nach dem nächsten Titel.

 

Teil II:

 

Ich treffe Charlotte Knobloch im Herzen der  Münchner Altstadt. Nahe Marienplatz und Viktualienmarkt wurde hier 2006 die neue Synagoge eröffnet. Es ist auch das Lebenswerk von Charlotte Knobloch, die den Tag der Einsegnung als den wichtigsten ihres Lebens bezeichnet: 

Vor lauter Freude, dass das Judentum wieder einen Platz in unserer Stadt hat, dass sie  wieder anerkannt wurden - so dachte ich. Das war der Grund, dass ich öffentlich gesagt habe, jetzt hab ich meine Koffer ausgepackt.

Charlotte Knobloch bleibt als Jüdin in Deutschland und lebt hier ihren Glauben. Den hat vor allem ihre Großmutter geprägt. Heute ist sie selbst Großmutter von sieben Enkeln und freut sich, dass der Familiennachwuchs auch die religiösen Wurzeln für sich entdeckt hat und weiterträgt. Von 2006-2010 wird sie Zentralratsvorsitzende ihrer Religionsgemeinschaft in Deutschland. Sie setzt sich dafür ein, dass internationale jüdische Sitzungen auch wieder auf deutschem Boden stattfinden, weil sie überzeugt ist, dass sich das Land nach 1945 verändert hat. Umso mehr bedrücken sie die Hitlergrüße und antisemitischen Ausschreitungen von Chemnitz und der offen zu Tage tretende Antisemitismus im Land. Ihren Optimismus will sie nicht verlieren, …

… aber ich hätte auch nie damit gerechnet, dass ich in eine Situation komme, wo mich Gemeindemitglieder vor allem jüngeren Alters fragen und bitten ihnen einen Rat zu geben, ob sie in Deutschland eine Zukunft haben oder ob sie sich eine Möglichkeit suchen sollen Deutschland zu verlassen.

Deshalb fordert sie die Gesellschaft und Politik auf, jetzt gegen Antisemitismus und Rechtspopulismus Gesicht zu zeigen:

Ich hätte gerne eine eindeutige Stellungnahme zum Antisemitismus, der hier in unserem Land aufgrund unserer Vergangenheit  überhaupt nicht denkbar ist, geschweige denn,  dass wir ihn erleben müssen–da fehlt mir noch das große öffentliche Wort.

Und die 86-jährige wird nicht müde, selbst ihr Gesicht zu zeigen, weil sie überzeugt ist: Begegnung zwischen Menschen kann etwas verändern. Dafür reiste sie kürzlich z.B. in ein kleines Dorf nach Sachsen:

Wo jemand zu mir hergekommen ist, der gesagt hat: „Frau Knobloch, endlich hab ich einen Juden zum Anfassen! Ich danke Ihnen, dass sie gekommen sind“ Es ist eine Tatsache, dass es wirklich noch Menschen gibt, die noch nie einen Juden gesehen haben, und sich das Judentum in einer Art und Weise vorstellen, die natürlich den Antisemitismus beflügelt. Ich muss nicht die überzeugen, die schon überzeugt sind, sondern ich muss dorthin gehen, wo ich vielleicht Leute finde, die noch gewisse Zweifel haben.

Findet Charlotte Knobloch. Die Begegnung mit ihr hat mir gezeigt, dass es wichtig ist, sich gegen alle Anfänge von Hass und Hetze einzusetzen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27622
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