SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Manche Fehler lassen sich nicht wieder gutmachen. Man muss sie buchstäblich begraben. Das zumindest lehrt ein alter Brauch der Steinmetze. Die Steinmetzin, die an unserer Kirche arbeitet, hat mir davon erzählt. Sie sprechen von einem „Bernhard“, wenn ein Stein beim Bearbeiten kaputtgeht und nicht weiter verwendet werden kann. Dass der Stein Bernhard genannt wird, geht auf ein Ereignis im 12. Jahrhundert zurück, wo Steinmetze an der Skulptur des heiligen Bernhard gearbeitet haben. Der Stein wurde falsch bearbeitet und war nicht mehr zu retten. Daraufhin haben die Steinmetze ihn beerdigt – wie beim Begräbnis eines Menschen. 

Später hat sich ein festes Ritual um diesen Brauch herum entwickelt: Der für den Fehler Verantwortliche musste sich von seinen Kollegen beschimpfen lassen; und er musste ihnen einen Leichentrunk spendieren. Und dann wurde der verdorbene Stein begraben, und damit war auch das Thema beerdigt.

Die Steinmetzin, die mir davon erzählt hat, kennt diesen alten Brauch vom Hörensagen. „Aber,“ hat sie mir erklärt, „heutzutage ist es selten geworden, dass man einen Stein nach mühevoller Handarbeit versehentlich kaputtmacht. Große Steine werden oft mit Maschinen bearbeitet. Entsprechend selten ist auch das Ritual geworden.“

Ich finde, dass sehr viel Weisheit in diesem Brauch steckt: „Bernhards“ gibt es ja nicht nur bei der Steinmetzarbeit. Wer arbeitet, macht auch Fehler. Und es ist gut, wenn es dann einen Weg gibt, wie man damit umgehen kann. Einen Weg, der mir erlaubt: Ich darf zu meinem Fehler stehen. Ich kann sagen, was passiert ist. Und die anderen dürfen sich ärgern und schimpfen. Aber dann wird der Fehler beerdigt. Die Sache ist erledigt. Ausgestanden.

Ich denke mir, wo es nicht so einfach ist, einen Fehler wiedergutzumachen, könnte ein solches Ritual nützlich sein. Es hilft, dass ich Schuld nicht abstreiten muss oder verharmlosen. Und die anderen nehmen meinen Fehler hin. Sie wissen, dass ihnen so etwas auch passieren kann. Ich muss nicht schönreden, was passiert ist. Aber es muss auch nicht  ewig Thema sein.

Einen Bernhard-Stein beerdigen, das machen heute selbst die Steinmetze kaum noch. Aber einen Fehler eingestehen, darüber reden und dann gemeinsam das Gewesene zu begraben – das halte ich für wichtig.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27167
weiterlesen...