SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Die Frau kennst du irgendwie – oder?
Na gut, ich grüße sie mal vorsichtshalber – wie man das so tut,
bei einem eher nur entfernt bekannten Menschen.
Ich will ja schließlich kein unhöflicher oder unfreundlicher sturer Stoffel sein.

Stunden später fällt es mir ein:
Die junge Frau, der ich da eben ein Hallo oder MoinMoin rübergeschickt habe,
kenne ich zwar – aber wirklich nur sehr entfernt.
Und zwar in Arbeitskleidung, hinter der Käsetheke im Supermarkt.
[Gut sortierte Käsetheke, übrigens; mit regionalem Bio-Käse.]
Jetzt, auf der Straße weit weg von ihrem Arbeitsplatz
und eben im sommerlichen Zivil:
Erst mal keine Chance, sie wirklich wiederzuerkennen.

Schade eigentlich.
Denn es zeigt mir, dass ich jedenfalls in der gleichen Gefahr bin
wie viele andere auch
oder vielleicht sogar unsere ganze arbeitsteilige Gesellschaft:
Menschen werden nur noch in ihrer Funktion wahrgenommen
statt als Menschen.
Fachkraft für Käse – obwohl sie ja extra ein Namensschildchen trägt, da im Job.
Aber sprechen Sie sie oder den Kassierer an der Supermarktkasse mal so an:
Guten Tag, Herr Weber. Hallo, Frau Soundso…
Sie werden vermutlich in ein erstauntes Gesicht blicken;
in den Augen eine stille Frage: Kennen wir uns? Woher!?

Schon klar: Die Bedingungen sind unfair.
Der Mann an der Kasse, die Frau hinter der Theke stellen sich mit Namen vor.
Vermutlich vom Arbeitgeber verpflichtet.
Und ich – wie jeder und jede andere Kundin – wir dürfen anonym bleiben;
nur daran interessiert, unsere Konsumwünsche bedienen zu lassen,
möglichst freundlich, aber vor allem professionell
und natürlich sauber und zügig, bitte.
Auch die Kundinnen und Kunden also reduziert auf diese Funktion.
Und Herr Weber und die Kollegin vom Käse haben noch weniger Chancen,
uns wiederzuerkennen draußen auf dem Parkplatz oder sonst wo in der Stadt.

Wäre viel schöner und menschlicher,
wir würden uns das bisschen Zeit nehmen.
Die Menschen im Laden und im Bus und auch die Polizisten
persönlich anzusprechen, mit Namen,
wenn sie sich schon so freundlich vorstellen.
Kalt und anonym ist unsere Welt schon genug.
Die andere und den anderen als Person wahrzunehmen,
viel mehr als nur die Funktion, die mir gerade wichtig ist:
das würde ein wenig mehr Wärme erzeugen.
Fast könnte ich es Liebe nennen. Aber Beachtung und Achtung reicht ja schon.

Und auch Frau Goldbach fände es doch vielleicht sehr schön,
wenn wir uns mehr zu sagen hätten als
„vierhundert Gramm vom Heumilchkäse“ und „in Scheiben oder am Stück“
und bitte und danke und schönen Tag noch.
Ach ja, das ist die junge Frau vom Anfang: Frau Goldbach.
Hab ich mir ja doch mehr gemerkt als nur  „Käse-Fachkraft“…

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26679
weiterlesen...