SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Deus und dies. Zwei Worte aus dem Lateinischen. Deus steht für Gott, dies für Tag. Beide haben, darauf verweist der Schriftsteller Peter Handke in einem seiner Notizbücher, eine gemeinsame Sprachwurzel. Deus und Dies: Gott und Tag.
Ich frage mich, woher kommt diese sprachliche Verwandtschaft: was hat der unermessliche Gott mit dem messbaren Zeitintervall eines Tages zu tun?

Ich verstehe das so: jeder Tag ist ein Gottesgeschenk. Jeder Morgen die Erinnerung an einen neuen Schöpfungsmorgen, an dem ich mich vom Gestern löse und Neues planen und gestalten kann. Jeder Tag eine Chance, meinem Leben eine neue Richtung zu geben.  Helle und  dunkle Stunden, in denen ich etwas vom Weltgeheimnis berühren darf.

„Jeder Morgen ist ein neuer Anfang unseres Lebens“, schreibt Dietrich Bonhoeffer, „jeder Tag ist ein abgeschlossenes Ganzes. Der heutige Tag ist die Grenze unseres Sorgens und Mühens. Er ist lang genug, um Gott zu finden oder zu verlieren... Darum schuf Gott Tag und Nacht, damit wir nicht im Grenzenlosen wanderten, sondern am Morgen schon das Ziel des Abends vor uns sähen.“

Deus und dies. Da klingt für mich etwas durch vom Geheimnis der Weihnachtsgeschichte: vom unermesslichen Gott, der Mensch wird und eingeht in die engen Grenzen unserer Zeit. Der mir in meiner Lebenszeit begegnen will. In meinen hellen und meinen dunklen Stunden. Damit ich mich nicht im Grenzenlosen verliere.  

Ich denke, heute besteht die Gefahr, im Grenzenlosen verloren zu gehen, in besonderer Weise. Verglichen mit früheren Generationen erscheinen unsere Möglichkeiten tatsächlich grenzenlos.

Wir reisen wohin wir wollen. Wir empfangen unsere Informationen aus unzähligen Quellen. Wir sind weltweit vernetzt. Und über allem schwebt das Versprechen, alles sei möglich, wenn man nur wolle. Dabei geht viel von dem verloren, was Menschen früher Halt und Orientierung gegeben hat. 

Deus und dies. Das heißt für mich:  Gott im Begrenzten, im Kleinen, im Unscheinbaren zu finden. Den konkreten Tag, der vor mir liegt nicht gering zu schätzen. Und schon gar nicht die Aufgaben, die vor mir liegen, zu fürchten. Weil mich darin etwas Neues ansprechen und berühren will. Weil vielleicht gerade heute etwas anders werden will in meinem Leben.

Darum ist jeder Tag etwas ganz Einmaliges. Ein Zeitraum, voller himmlischer Möglichkeiten. Deus und dies.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26561
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