SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Wann ist der richtige Zeitpunkt, eine Schuld einzugestehen? Und kann es irgendwann zu spät sein?
Der Punkt, an dem man nicht mehr zurückkann, das ist in der Fliegersprache ein fester Begriff. Der Point of no return. Wenn das Flugzeug über einen bestimmten Punkt hinaus ist, dann kann der Start nicht mehr abgebrochen werden. Die verbleibende Startbahnlänge reicht nicht aus, das Flugzeug noch sicher abzubremsen. Ich glaube, solche Punkte, solche Momente gibt es auch im Leben. Wenn man verpasst hat, zu sagen: Ja, das war nicht in Ordnung.

Manchmal kann man das bei Prominenten beobachten. Da wird einer beschuldigt und beteuert seine Unschuld. Die Beweise für seine Schuld werden immer deutlicher. Aber der Beschuldigte beharrt darauf: Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen. Und dann gibt es diesen Punkt, an dem er nicht mehr zurückkann. An dem er nicht mehr einräumen kann: Ja, da sind die Dinge nicht so gelaufen wie sie hätten laufen müssen. Ich habe mir etwas zuschulden kommen lassen.

Jetzt ist die Schuld noch größer als vorher. Denn es kommt ja noch hinzu, dass er so lange geleugnet hat und gezögert hat, sich dazu zu bekennen. Wahrscheinlich hat er sich gefragt: Wie gehen die anderen mit meinem Schuldeingeständnis um? Wie vernichtend wird ihr Urteil sein? Der Prominente hat befürchtet, dass er sein Ansehen verliert. Erst hinterher begreift er, dass der Schaden größer geworden ist, weil er so lange gewartet hat. Aber ob er es jetzt anders machen würde? Vermutlich nicht.

In der Bibel wird über Gott gesagt: Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen. Ich verstehe das so:
Gott geht sorgsam mit denen um, die Schuld eingestehen. Sie werden nicht vernichtet. Gott sucht mit ihnen einen Weg aus der Schuld heraus. Kein „Point of no return“. Bei Gott kann ich immer zurück.

Ich wünsche jedem, der schuldig geworden ist, dass er das auch für sein Leben entdeckt. Und dass die anderen, so mit ihm umgehen: Das geknickte Rohr nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht nicht auslöschen. Ich hoffe, sie sind froh, dass er den Mut aufgebracht hat, zu seiner Schuld zu stehen. Denn nur so kann jetzt daran gearbeitet werden, die Folgen der Schuld zu heilen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26159
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