Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Gott sieht alles! So jedenfalls lässt sich die Botschaft des einhundertneununddreißigsten Psalms in der Bibel zusammenfassen. Da heißt es: „Herr, du erforschest und kennst mich. Ich sitze oder stehe auf, so weißt Du es.“ Und weiter: „Und nähme ich Flügel der Morgenröte und flöge ans äußerste Meer, so würde auch dort deine Hand mich halten.“

Als 14-Jährige konnte ich daran nichts Gutes finden. Gott sollte immer um mich sein? Die Vorstellung fand ich einfach unerträglich. Was bitte sollte an einer solchen Dauerüberwachung gut sein? Für mich klang das so, als ob Gott uns Menschen ausspioniert und kontrolliert. Als ob nichts vor ihm sicher ist. Es kein Entrinnen gäbe.

Ein Freund hat mir dann eine Geschichte erzählt: Einem Pfarrer werden im Herbst immer wieder die schönen reifen Äpfel aus dem Pfarrgarten gestohlen. Das ärgert ihn. Er legt sich auf die Lauer, um die Diebe auf frischer Tat zu ertappen, doch ohne Erfolg. So schreibt er einen Zettel und hängt ihn an den Baum: Darauf steht: Gott sieht alles! Am nächsten Morgen schaut er nach seinen Äpfeln und muss feststellen: Der Baum ist nun völlig geplündert. Und als er auf den Zettel schaut, den er geschrieben hatte: Gott sieht alles, da hat jemand seinen Satz ergänzt: Gott sieht alles -  aber er verpfeift uns nicht!

Ich habe damals verstanden: Gott ist auf meiner Seite. Er schaut nicht als Oberpolizist oder Spion in mein Leben. Er ist mein Freund. Was er sieht, verwendet er niemals gegen mich. Ich habe das über viele Jahre dann ausprobiert und  erfahren: Wenn ich Gott als Freund verstehe, der meinen Weg begleitet, dann kann mich der Gedanke an seine Gegenwart  tatsächlich trösten.

Gott ist überall. Gott sieht alles, aber er verpfeift mich nicht. Diesen Satz habe ich in meiner Bibel über den einhundertneununddreißigsten Psalm geschrieben. Seitdem lese ich ihn gerne und denke: „Wenn es ernst wird, hält er mich an der Hand, wie ein guter Freund..“

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=25771
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