SWR2 Wort zum Tag

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Durban in Südafrika. In einem Vorort stehen zahlreiche Villen, mit gepflegten Vorgärten und PS-starken Autos vor der Garage. Unmittelbar daneben das genaue Gegenteil: ein Slum. Und genau zwischen diesen beiden Orten: das Haus der „Missionaries of Charity“, der „Missionarinnen der Nächstenliebe“. Sie wurden von Mutter Teresa gegründet. Die Schwestern nehmen schwerstbehindere Kinder und Erwachsene auf, auch Aidskranke leben hier. Sie suchen im Slum nach den Menschen, die ohne sie zugrunde gehen würden. Kliniken weisen sie auf Patienten hin, die keine Angehörigen mehr haben und keinen Ort, wo sie leben oder sterben können; manchmal liest die Polizei Menschen auf der Straße auf und bittet die Schwestern, sie aufzunehmen. Manche leben viele Jahre in dem Heim. Andere sind vom Tod gezeichnet und werden bald sterben. Aber allen ist gemeinsam: Sie erleben, was es bedeutet, menschenwürdig zu leben – und menschenwürdig zu sterben. Und das vielleicht zum ersten Mal. 

Ich war schon öfter in diesem Haus der Mutter-Teresa-Schwestern. Vor wenigen Wochen gerade wieder. Beim Gang durch die einfachen Zimmer komme ich an das Bett einer alten Frau. Ich sehe, dass ihr Leben dem Ende entgegen geht. Ihre Glieder sind von Gicht verkrümmt, ihr Mund ist zahnlos, ein Bein ist amputiert. Sie scheint dement zu sein. Weinend sagt sie immer wieder, dass ihre Mutter verstorben ist, ihr Vater bei einem Unfall getötet wurde, ihre Kinder irgendwo verstreut sind. Und genau so oft – wie eine beschwörende Formel: „Gott ist gut, Dank sei Gott.“ Vielleicht ist das ihre Weise, das Elend auszuhalten. 

 Ich halte eine Weile ihre Hand. Ein Freund von mir ist auch dabei. Er ist pensionierter Pfarrer. Was können wir hier anderes tun als  einfach da sein, eine Weile dabei bleiben? Menschliche Nähe spüren lassen? Das ist nicht leicht. Helfen, direkt etwas unternehmen , konkrete Probleme lösen, das ist einfacher. Aber dabei bleiben, wenn Menschen völlig hilflos sind, und erleben, wie ohnmächtig ich selber bin – das ist schwer. 

Irgendwann müssen wir wieder gehen. Weiterfahren zum nächsten Reiseziel. Es fällt uns nicht leicht. Aber ich glaube, wir haben  verstanden, was die Seele dieses Hauses ausmacht: die Schwestern sind da, einfach da. Sie bleiben bei diesen Menschen, auch wenn andere Hilfe nicht mehr möglich ist. Ihre Nähe gibt diesen  Menschen Ansehen und Würde. Sie leben ihren Glauben an den Gott, dessen Name lautet: „Ich bin da.“

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=23135
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