SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Vor kurzem ist es mir wieder passiert: Ich bin im Feierabendverkehr unterwegs. Plötzlich nimmt mir einer die Vorfahrt und fährt direkt vor mir in meine Spur. Ich hupe. An der nächsten Ampel kurbelt der andere Autofahrer die Scheibe runter und ruft etwas, das ich nicht verstehe bis auf „Depp“ und „fahren lernen“.

Normalerweise bringt mich so etwas auf Hundertachtzig. Weil ich das letzte Wort haben will. Aber wenn ich Gleiches mit Gleichem vergelte, geht’s mir hinterher kein bisschen besser. Im Gegenteil. Selbst wenn ich zuhause angekommen bin, stecke ich in Gedanken immer noch in der Diskussion fest. Ich kann nicht damit aufhören, zu überlegen, was ich Besseres hätte sagen können, um den anderen zu einem richtigen Verhalten zu erziehen. Ob ich es freundlich hätte sagen können, oder ironisch, damit er merkt, dass ich überlegen bin und Recht habe.

Allerdings bin ich nicht der Erzieher der Menschen, die ich treffe. Ich habe gar nicht das Recht oder den Auftrag dazu. Es muss noch eine andere Art geben, wie ich mit den anderen in schwierigen Situationen umgehe. Das fängt damit an, dass ich den anderen nicht von oben herab oder mit Rachegedanken anschaue, sondern als einen Menschen wie ich einer bin. Mit Fehlern und mit Launen. Und ich akzeptiere ihn, wie er ist. Mit der schlechten Laune, die ich gerade abbekomme.

Bei der Begegnung mit diesem Autofahrer, der mich beschimpft hat, lief es tatsächlich anders. Ich weiß nicht einmal wieso. Ich war dieses Mal gelassener und bin freundlich geblieben. Ich habe mir zwar noch Gedanken über ihn gemacht. Aber andere als sonst. Ich habe mir überlegt, was er wohl für einen Stress haben muss, dass er so grob reagiert. Und dass ich das von mir ja auch kenne: Wenn mich beruflicher Stress oder ein Konflikt noch beschäftigt, bekommt es manchmal einfach der Nächstbeste ab, der mir über den Weg läuft. Und gerade dann täte es mir doch besonders gut, wenn die andern großzügig sind und meine Fehler ertragen.

Ich will es in Zukunft nicht dem Zufall überlassen, ob ich wieder so einen gelassenen Moment habe. Ich kann es ja üben, dass ich grundsätzlich gelassener werde. Gelassen-Sein könnte so eine Lebenseinstellung werden, bei der ich andere Menschen so annehme wie sie sind. Und dann sehe ich ja, was passiert.

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