Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

„Je länger ich dort arbeite, desto dankbarer werd ich.“ Mein ältestes Patenkind hat das gesagt, und es hat mich beeindruckt. Lea ist 19, und sie macht gerade ein Freiwilligenjahr in einer Schule für Jugendliche mit geistiger oder körperlicher Behinderung. Und was sie dort erlebt, das macht ihr klar: Nichts ist selbstverständlich. Dass ich mich morgens alleine anziehen kann. Dass ich selbstständig essen oder aus dem Haus gehen kann: Alles keine Selbstverständlichkeit. „Ich werde immer dankbarer.“ Sagt sie.

Und das klingt nicht niedergedrückt oder nur pflichtbewusst, überhaupt nicht. Lea ist einfach froh über ihre Gesundheit, über das, was sie tun kann mit ihrem Körper und ihrem Geist. Sie ist sich all ihrer Möglichkeiten viel bewusster als vorher. Und eben: Sie ist glücklicher und dankbarer, als sie es vorher war. Für sie bedeutet diese Dankbarkeit aber auch ganz klar: Sie will den Menschen etwas geben, die all ihre Möglichkeiten nicht so haben. Ein Jahr lang hilft sie jetzt anderen, sich morgens anzuziehen. In die Schule zu kommen. Auch, wenn das für sie heißt, dass sie früh aufstehen muss und abends manchmal Rückenschmerzen hat. Ich find das klasse.

Mich hat Leas Dankbarkeit auch an eine Stelle in der Bibel erinnert, heute wird sie in den katholischen Gottesdiensten gelesen. Da wird erzählt: Jesus heilt zehn Aussätzige. Aber nur einer kommt zurück, um ihm zu danken. Und Jesus wundert sich: Es sind doch alle zehn rein geworden. Wo sind die übrigen neun? Ist denn keiner umgekehrt, um Gott zu ehren, außer diesem Einen? (vgl. Lk 17,11-19). Schon damals zuzeiten Jesu war Dankbarkeit offenbar nichts, was man automatisch fühlte und zeigte. Nur einer von zehn hat sich bedankt.

Ich glaube: Dankbare Menschen sind aber nicht einfach nur die besseren Menschen. Es sind vor allem auch die glücklicheren. Weil sie sehen können, was ihnen Gutes geschenkt wird. Weil sie über das, was sie haben, froh sind. Was nicht heißt, dass dankbare Menschen einfach nur alles rosarot sehen. Aber sie können eben: das Gute sehen. Das Gute, das es in jedem Leben gibt. Mich hat Lea mit ihren Erfahrungen aus dem Freiwilligenjahr jedenfalls wieder daran erinnert: Es gibt unglaublich vieles in meinem Leben, für das ich sehr dankbar bin.

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22928
weiterlesen...