SWR2 Wort zum Tag

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Wenn man erwachsen ist, sieht man die Orte der Kindheit und Jugend anders. Als Schülerin habe ich meine Liebe zum Theater entdeckt und von da an nahezu keine Inszenierung versäumt. Ich begann meine Leidenschaft im Alter von acht Jahren mit Lortzings „Zar und Zimmermann“ und habe später sogar als Komparsin in einer Inszenierung von „Emilia Galotti“ mitgespielt.
Für mich war unser Stadttheater der Traumort, tatsächlich die Bretter, die die Welt bedeuteten.

Dann habe ich meine Heimatstadt verlassen und erst zwanzig Jahre später wieder eine Aufführung in diesem Haus besucht. Was mir zu Schulzeiten riesig erschien, ist mir plötzlich putzig und klein vorgekommen. So ein bisschen habe ich mich über mich selbst lustig gemacht: Schau mal, so klein war deine Welt! Auf der anderen Seite: Diese kleine Stadttheater-Welt hat mir einen Blick in die große Welt der Kunst eröffnet, und ohne dieses kleine Theater wäre ich heute nicht die, die ich bin. Schon Goethe hat gewusst, dass ein Komödiant einen Pfarrer lehren könnte.

Ich möchte nicht mehr zurückkehren an den Ort, an dem ich aufgewachsen bin. Aber ich muss ihn nicht kleinreden, auch wenn er nicht besonders groß ist. Das Stadttheater ist für viele Menschen heute noch ein Ort der Freude und des guten künstlerischen Wirkens. Möglicherweise kommt es nicht darauf an, als erwachsener Mensch wieder Kind zu werden, sondern als Erwachsener das zu achten und wertzuschätzen, was aus kindlicher Perspektive wichtig und schön war.

Mein Theater von damals ist mir auch wie ein Gleichnis für den Umgang mit dem Glauben. Manchen Menschen kommt ihr Kinderglauben zu eng und klein vor, wenn sie erwachsen geworden sind. Doch, so viel ich auch über Theologie und Bibel weiß, seitdem ich erwachsen geworden bin und studiert habe - es gibt manches in meinem Kinderglauben, das ich mir bewahren möchte. Etwa das manchen naiv erscheinende Vertrauen, dass Gott es gut mit mir meint, dass er mir zuhört, wenn ich die Hände falte und bete. Ich bewahre meinen Glauben daran, dass er mir jeden Tag etwas schenkt, über das ich mich freuen kann und die Neugier darauf, was das wohl an diesem Tag genau sein wird. Ein Lächeln? Ein schöner Anruf? Eine gute Idee? 

Eigentlich kein Wunder, dass das Kinderlied „Weißt du, wieviel Sternlein stehen“ zu meinen Lieblingsliedern zählt. Gut, dass es im Evangelischen Gesangbuch steht, und ich finde, auch Erwachsene dürfen es mit Inbrunst singen: „Gott im Himmel hat an allen, seine Lust, sein Wohlgefallen, kennt auch dich und hat dich lieb.“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22771
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