SWR3 Gedanken

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Meine Tochter Emma ist zehn Jahre alt. Und sie liebt Geschenke. Wenn ihr etwas gefällt, strahlt sie übers ganze Gesicht. Man sieht einfach, dass sie sich freut. Leider sieht man auch, wenn ihr ein Geschenk nicht gefällt. Sie sagt dann höflich Danke, um keine Gefühle zu verletzen. Aber ihr Gesicht spricht trotzdem Bände. So ist das bei der Emma. Bei dem dreijährigen Henry ist das anders.

Mit dem haben seine Eltern nämlich das Freuen trainiert. Und in einem Videoclip im Internet kann man das Ergebnis sehen. Da packt der kleine Henry begeistert ein Geschenk aus. „Eine Avocado“, juchzt er begeistert und bedankt sich herzlich. Mit einem Topflappen und einer Tasse funktioniert es auch. Beeindruckend. Habe ich mit meiner Erziehung versagt?

Glaube ich nicht. Denn Erziehung ist etwas anderes als Dressur. Der kleine Henry weiß, was von ihm erwartet wird und tut es. Ob in dem Päckchen eine Avocado oder ein Monstertruck ist, ist ihm zunächst schnurz. Er soll sich freuen, also freut er sich. Ob er sich wirklich freut, spielt keine Rolle.

Für mich spielt es eine Rolle, ob Kinder sich wirklich freuen. Weil es ja Kinder sind. Erziehung heißt nicht, Menschen Gefühle anzutrainieren. Erziehung heißt, Menschen beizubringen, wie sie mit diesen Gefühlen umgehen und wie sie dann mit anderen umgehen. Und das nennt man Höflichkeit.

Die halte ich schon für wichtig. Höflichkeit hat etwas mit Respekt und Achtung zu tun. Wer schenkt, möchte in der Regel Freude bereiten. Und verdient zumindest ein Dankeschön dafür. Und wohlerzogene Kinder wissen das auch. Sie wissen aber auch, dass trotzdem keiner von ihnen verlangt, dass sie sich freuen, wo ihr Herz es ihnen nicht sagt.

Deshalb schenke ich meiner Tochter nun eben keine Avocado zu ihrem elften Geburtstag, sondern etwas, von dem ich zumindest hoffen kann, dass sie sich wirklich darüber freut. Wenn die Freude gelingt, finde ich das gut. Wenn nicht, werde ich es merken. Und offen gestanden finde ich das auch gut.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21451
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