SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Für Juden und Muslime ist heute ein wichtiger Tag: Die Juden feiern Yom Kippur, das heißt Versöhnungstag. Und die Muslime das Opferfest. Bei beiden Festen geht es darum, dass Gott nicht nachtragend ist, wenn Menschen Fehler machen. Er gibt immer noch einmal die Chance für einen Neustart. Bei beiden Festen geht es um die Versöhnung. Zwischen Mensch und Mensch und zwischen Mensch und Gott.

Was Juden und Muslime da feiern, kann ich als Christ auch unterschreiben. Ich frage mich nur, warum die Menschen in allen drei Religionen nicht danach handeln, obwohl sie doch davon überzeugt sind. Wenn ich an den Dauerkonflikt zwischen Israelis und Palästinensern denke, dann sieht das ja nicht danach aus, als ob die wirklich in Frieden miteinander leben wollen. Wir Christen stehen ihnen da in nichts nach. Da muss ich gar nicht bis zu den Kreuzzügen zurück, es genügt ein Blick nach Irland, wo Christen gegen Christen gekämpft haben. Und auch im Privaten: Ich weiß von mir selbst, wie schwierig es manchmal ist, dem anderen Gutes zu wünschen, obwohl ich mich von ihm vielleicht gekränkt oder benachteiligt fühle.

Können die Religionen also nicht helfen, dass es den Menschen besser geht? Viel zu oft haben die Religionen in der Vergangenheit den Grund für Kriege geliefert. Bis heute. Trotzdem finde ich: Die Religion an sich ist nicht schlecht, nur weil ihre Anhänger sich nicht nach ihr richten.

Im Gegenteil. Ich kann es nicht fassen, dass heute immer noch Kriege im Namen Gottes oder der Religion angezettelt werden können. Was die IS-Kämpfer “tun“, hat für mich nichts mit Gott zu tun. Der Soldat an der Front denkt vielleicht noch, dass er für Gott oder für eine heilige Sache kämpft. Aber bei den Machthabern geht’s doch um was anderes: Mehr Macht und mehr Reichtum.

Wenn also heute Versöhnungstag und Opferfest ist, dann ist das wie ein Stachel, der mich sticht. Allem Krieg und Streit zum Trotz: Ich behalte die Hoffnung, dass Gott etwas anderes mit uns Menschen im Sinn hat: alle Menschen könnten miteinander so leben, dass jeder das Beste für den anderen will.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20544
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