SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

Ich laufe durch die Stadt, durch die Geschäfte. Auf dem Markt bleibe ich beim Gemüsehändler stehen, prüfe mit meinen Augen den Kopfsalat. Und muss an meinen Vater denken. Wieso muss ich an meinen Vater denken? Weil es nach ihm riecht. Ich bin irritiert.
Mein Vater ist vor fast dreißig Jahren gestorben. All die Jahre seines erwachsenen Lebens hat er ein bestimmtes Rasierwasser benutzt. Und dieses Rasierwasser hängt gerade in der Luft. An diesem Morgen, mitten auf dem Markt.
Immer noch den Kopfsalat im Blick habe ich eine Art Flashback. Bin wieder das Kind auf der Schaukel, renne juchzend durch den Garten, sehe meinen lächelnden Vater mit der unvermeidlichen Brille auf der Stirn. Spüre den Schmerz, als von ihm nicht mehr bei uns blieb als sein Hut und sein Mantel.
Jemand spricht mich an, ich kehre zurück in die Gegenwart. Sehe, wie der ältere Herr neben mir seine Kartoffeln verstaut. Es ist sein Rasierwasser, das in mir den Film meines Lebens losgetreten hat. Er lächelt mich unverbindlich an und zieht seiner Wege.
Ich kaufe einen Kopfsalat und gehe auch weiter. Die Bilder meines Vaters sind noch immer so lebendig in meinem Kopf, als sei das alles erst gestern gewesen. Ein harmloses Rasierwasser hat mir einmal mehr gezeigt, dass Liebe und Trauer kein Verfallsdatum haben.
Und so bin ich ein bisschen traurig, weil ich meinen Vater in diesem Moment so viel mehr vermisse als sonst. Und bin andererseits ein bisschen froh, dass ich all die Erinnerungen habe, in denen er noch immer bei mir ist.
Trauer hat kein Verfallsdatum. Aber die Liebe eben auch nicht. Wie es in der Bibel heißt: Die Liebe hört niemals auf.

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