SWR2 Wort zum Tag

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Das Vaterunser – erst auf deutsch, dann auch auf italienisch und litauisch, englisch, spanisch und russisch. Im Religionsunterricht an der Altenpflegeschule sprechen wir über Rituale, die in Krisensituationen helfen können. Gebete zählen dazu, für Christen besonders das Vaterunser – und viele der Schülerinnen möchten es in ihrer eigenen Sprache vorstellen. 

Für mich sind die Kurstage an der Altenpflegeschule so etwas wie Zukunftsmusik. Nicht nur, weil auch ich irgendwann einmal alt und wahrscheinlich auch pflegebedürftig werde. Sondern auch, weil sich hier ganz deutlich zeigt, wie vielfältig unsere Gesellschaft geworden ist.

Die Frauen und Männer im Kurs haben Wurzeln auf dem ganzen Erdball: In Litauen und Brasilien, Italien und Russland, Kenia und Thailand. Viele sind in Deutschland geboren, einige sind aber auch erst kurze Zeit hier. Manche sind gerade 18, andere schon Mitte vierzig, sie haben verschiedene Schulabschlüsse, sind Christen, Muslime und Atheisten. Aber eines haben sie gemeinsam: Sie sind bereit, sich als Altenpflegerinnen und Altenpfleger um pflegebedürftige Menschen zu kümmern – und sie versuchen, in sich in ihrer Ausbildung möglichst gut darauf vorzubereiten.

Davor habe ich großen Respekt. Und ich finde die Begegnungen und Erfahrungen mit ihnen sehr ermutigend: Da sind Frauen und Männer, die auch mich pflegen würden, wenn es notwendig wäre – obwohl es schwere Arbeit ist und sie dafür wenig Geld bekommen. Dafür lernen sie deutsch, büffeln gleichzeitig Anatomie und Pharmakologie und beschäftigen sich mit Biografiearbeit und Fragen der Rechts- und Geschäftsfähigkeit.

Da sind Frauen und Männer, die von ganz unterschiedlichen Kulturen und Religionen geprägt sind, und die trotzdem versuchen, einander zu verstehen – und auch die älteren Menschen, für die sie verantwortlich sind. Deshalb notiert sich auch die junge Muslima eifrig das Vaterunser. Eine selbst gar nicht religiöse Schülerin fragt die orthodoxe Kollegin genau nach der Bedeutung der Ikonen. Und der angehende Altenpfleger, der in eine christliche Freikirche geht, will mehr über die Waschungen im Islam wissen.

Zukunftsmusik: Ich glaube, wenn die Zukunft so aussieht, dann kann ich später noch getrost alt werden. Und wenn es sein muss, auch pflegebedürftig. Vielleicht hilft mir Natia dann, das Vaterunser zu beten. Auf litauisch und auf deutsch. Oder Sabriye. Obwohl sie eigentlich Muslima ist. Aber wenn sie es kann und es mir gut tut, warum nicht?

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19473
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