SWR2 Wort zum Tag

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Im Dachgeschoss des Bischofshauses der Stadt Erbil im Nordirak steht ein langer Tisch mit 14 Computerarbeitsplätzen. Junge Frauen und Männer sind Tag für Tag dabei, die Personendaten von Tausenden von Fragebögen elektronisch zu erfassen. Auf einem weiteren PC führt ein Computerspezialist alles in einer zentralen Datenbank zusammen. 

Eigentlich nichts Besonderes, man kann so etwas überall sehen. Aber die Tätigkeit der jungen Leute in Erbil macht ein Drama von unvorstellbarem Ausmaß deutlich. Sie registrieren Herkunft und Namen von Hundertausenden von Flüchtlingen, die im Sommer dieses Jahres vor den Mörderbanden des sogenannten Islamischen Staates geflohen sind. Etwa 400.000 Christen und Yeziden sind es in der Region um Erbil, eine weitere halbe Million etwas weiter nordwestlich in der Gegend um die Stadt Dohuk. Allein in Erbil trafen in einer einzigen Nacht zwischen 100.000 und 120.000 Flüchtlinge ein – Männer, Frauen, Kleinkinder und Jugendliche, Greise.

Als die Menschen zunächst aus Mosul, der zweitgrößten Stadt des Landes, und dann ein zweites Mal aus den umliegenden Dörfern vertrieben worden sind, da haben Ihnen ihre Verfolger nicht nur Geld und Schmuck geraubt, das wenige Hab und Gut, das sie noch bei sich hatten, sondern auch ihre Pässe. Das ist viel schlimmer als nur ein verlorenes Stück Papier: Mit dem Raub der Ausweise haben die IS-Milizen den Flüchtlingen ihre Namen, ihre Identität gestohlen. Ja ihre Würde sollte ihnen geraubt werden. Ein Mensch ohne Identität ist ein Niemand. Das war die infame Strategie.

Bischof Warda von Erbil und sein Mitbruder Rhabban in Dohuk haben die Flüchtlinge aufgerufen, sich registrieren zu lassen. Die Familien werden auf Fragenbögen erfasst: Väter, Mütter, die zumeist zahlreichen Kinder, Großeltern, alleinstehende Angehörige. Auch Familienmitglieder, die ermordet wurden, die auf der Flucht gestorben oder vermisst sind. Langsam nur zeichnen sich in dem anonymen Elend konkrete Bilder ab. Etwa 10.000 Personen waren in Erbil gerade einmal registriert, als mir die jungen Leute von ihrer Arbeit berichtet haben – sechs Wochen nach der Flucht. Mit Hilfe der Register läßt sich ermitteln, was an Lebensmitteln und Kleidern benötigt wird, wie viele Unterkünfte für den bevorstehenden Winter errichtet werden müssen. Nicht zuletzt dienen die Listen dazu, den Flüchtlingen wieder Ausweispapiere zu beschaffen. So werden sie aus anonymen Niemanden wieder zu Personen mit einer öffentlich dokumentierten Identität. Die jungen Leute an den Computern im Bischofshaus in Erbil leisten einen Dienst für die Würde dieser Menschen. Ihr konzentrierter Eifer zeigt, wie sehr sie sich ihrer Verantwortung bewusst sind.

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18622
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