SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Heute beginnt der Kirchentag in Hamburg. Sein Motto: Soviel du brauchst. Das ist ein Textschnipsel aus dem biblischen Buch Exodus, dem 2. Buch Mose. Die Bibel erzählt: Mose ist mit dem Volk Israel in der Wüste unterwegs, das Volk sehnt sich nach den Fleischtöpfen Ägyptens zurück, Gott schickt Wachteln und Manna, um den Hunger zu stillen. Jeder darf sich davon nehmen, soviel er braucht. Alle sammeln, der eine viel, der andere weniger, am Ende wird nachgemessen und: Interessanterweise ist das Ergebnis bei allen gleich. Mose bestimmt, dass alles Manna und alle Wachteln am selben Tag verzehrt werden sollen, natürlich gibt es einige Oberschlaue, die einen Vorrat anhäufen: Doch ihre Vorräte sind schon am nächsten Tag voller Maden und verdorben. Sammeln, im Vertrauen darauf, dass es schon reichen wird, auf Vorratshaltung verzichten im Vertrauen darauf, dass genug da ist - auch am nächsten Tag... So viel du brauchst - offenbar schon zu Mose Zeiten eine schwierige Aufgabe. Wieviel brauche ich? Was wäre, wenn unser Zusammenleben so organisiert wäre wie in der Wüste zu Mose Zeiten? Jeder darf jeden Tag so viel sammeln, wie er oder sie braucht, allerdings eben gerade nur so viel!
Sicher ist es naiv, ohne Altersvorsorge und Sparkonto ans Leben heranzugehen, aber Denkimpulse gibt mir das Motto des Kirchentages schon - ganz persönlich und auch politisch. Was brauche ich tatsächlich?
Ein gutes Trainingsfeld dafür ist ein All-inclusive-Urlaub, in dem man unweigerlich zum übergewichtigen Alkoholiker wird, wenn man alle Angebote wahrnimmt, die man kriegen kann und um der eigenen Gesundheit willen darauf angewiesen ist, genau hinzuspüren, wann man was wirklich braucht und was zu viel ist. Der Impuls ist aber erst mal: Alles mitnehmen - mit fatalen Auswirkungen. „So viel du brauchst", das hilft, diesen Impuls zu unterbrechen. Was brauche ich tatsächlich? Das ist auch wirtschaftlich und politisch interessant: Wie viel Energie braucht ein Staat, da sind beispielsweise die Antworten der USA und der Elfenbeinküste gewiss sehr unterschiedlich, und das hat unmittelbare Auswirkungen auf unser Klima. Ist ein Sparguthaben von 100 000 Euro viel oder nicht? Da differieren die Meinungen eines Hartz-4-Empfängers und eines russischen Oligarchen sicher erheblich. Die neue Freundin von Rafael Van der Vaart gibt jeden Monat 20000 Euro beim Shoppen aus. So viel du brauchst? Würde ich auch so viel ausgeben, wenn ich das Geld zur Verfügung hätte? Wie würde sich mein Leben dann ändern? Hätte ich Lust, von diesem Geld abzugeben? Oder Angst, es zu verlieren? Werde ich neidisch, wenn die junge Frau so viel ausgeben kann und komme erst bei so einer Nachricht auf den Gedanken, dass ich viel zu wenig habe? Muss ich alles haben, ist das Gerechtigkeit? Ist Gerechtigkeit, wenn alle das gleiche besitzen, so wie es im Kommunismus einmal geplant war?
So viel du brauchst - wie würde sich mein Leben ändern, wenn ich mich nicht um Rentenansprüche und Inflationsgefahr kümmern müsste sondern wüsste, dass ich, jeden Tag, gerade so viel bekomme, wie ich brauche? Und: Wer entscheidet, was ich brauche? Ich selbst - oder meine Regierung? Oder eine Troika?
Nun - schon zu Mose Zeiten hatte das Motto seine Tücken, Mose hat sich sehr über seine raffgierigen Israeliten geärgert. Sicher wird es auch viele Menschen geben, die sich über das Motto des Kirchentags ärgern, es naiv finden oder moralisierend. Ich finde es reizvoll, das Motto durchzuspielen, politisch und privat. Wie gehe ich, wie geht mein Land mit Vorräten um? Was brauche ich zum Leben? Viele Fragen, die das Motto des Kirchentags aufwirft. So viel du brauchst. Ich möchte zu diesen Fragen auf Spurensuche gehen. Vielleicht merke ich ja, dass ich viel mehr brauche, als ich ursprünglich dachte. Oder viel weniger.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=15191
weiterlesen...