SWR3 Gedanken

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„Man müsste das Leben so einrichten, dass jeder Augenblick bedeutungsvoll ist", das hat der russische Schriftsteller Turgenjew geschrieben vor mehr als hundert Jahren.
Jeder Augenblick bedeutungsvoll. Ob Turgenjew öfters Langeweile hatte?
Mir geht es gerade anders herum - mein Alltag ist so voll an wichtigen Terminen, dass der Tag meist zu kurz ist, um alle vernünftig unterzubringen. Trotzdem fühlt sich mein Leben nicht bedeutungsvoll an. Ausgelaugt trifft es eher.
Es gibt offensichtlich einen Unterschied zwischen wichtig und bedeutungsvoll. Wenn mein Leben Bedeutung hat, dann deutet es auf etwas hin. Dann lebe ich so, dass mein Tun und Lassen auf etwas dahinter deutet, dass noch etwas anderes darin sichtbar wird.
An guten Tagen - und das sind meistens nicht die mit den vielen wichtigen Terminen, spüre ich, dass mein Leben ganz von sich aus Bedeutung hat. Gerade, wenn ich nicht so wild am Rumrennen bin, holt mich die Gewissheit ein, dass mein Leben gut ist, wie es ist. Es ist gut, dass nicht ich meinem Leben Bedeutung geben muss. Es ist gut, dass mein Leben mit meiner Geburt schon bejaht worden ist. Es ist gut, dass ich so bin wie ich bin. Es ist gut, dass ich nicht alles kann und weiß, so hat jeder Tag seine eigene Bedeutung, ist auf seine Weise einzig und ja: heilig.
Allerheiligen heißt der erste November auch. Dieses Jahr nehme ich diesen Tag als eine Heiligung aller Tage meines Lebens. Und so gesehen, bin dann auch ich heilig, und Sie auch, alle eben - sogar Turgenjew!

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