Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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der Herr hat´s genommen
Können Sie sich das vorstellen: an einem einzigen Tag alles zu verlieren, was Ihnen lieb und teuer ist?
So ergeht es dem biblischen Hiob: er verliert an einem einzigen Tag alles, was er besitzt: sein ganzes Hab und Gut, und dazu noch seine Kinder.
Als Hiob von seinem Unglück erfährt, zerreißt er seine Kleider, fällt auf die Erde, betet und spricht die berühmten Worte: „Der Herr hat´s gegeben, der Herr hat´s genommen; gepriesen sei der Name des Herrn."
Mir kommen diese Worte oft in den Sinn - aber man sollte es sich zweimal überlegen, ehe man sie ausspricht. Denn es macht einen großen Unterschied, ob ich das - wie Hiob - zu mir selbst sage, oder zu einem fremden Schicksal.
„Der Herr hat´s gegeben, der Herr hat´s genommen; gepriesen sei der Name des Herrn."  - Diese Worte sind alles andere als tröstlich für einen anderen, der gerade einen Verlust erlitten hat. Denn sie sprechen ihm das Recht ab, um das Verlorene zu trauern. Nach dem Motto: Nimm's nicht so tragisch. Sei doch froh, dass du noch lebst.
So ähnlich ist es einem Freund von mir ergangen: er hatte einen Tumor am Bein, man musste ihm die halbe Oberschenkelmuskulatur entfernen. Aber wenn er mit dem Verlust haderte, musste er sich jedesmal anhören: Sei doch froh, dass du nicht das Bein verloren hast.
Auch Hiob geht nicht gleich zur Tagesordnung über, nachdem ihm das alles widerfahren ist. Hiob reagiert erstmal heftig und emotional: er zerreißt seine Kleider und wirft sich zu Boden und betet. Und er wird auch nicht gleich wieder aufgestanden sein. Die Bibel schildert das nur ganz verhalten und knapp. Denn wenn jemandem so etwas Schlimmes widerfährt, dann beobachtet man seine Reaktion nicht unverhohlen. Dann tritt man beiseite und lässt dem Menschen Raum für seinen blinden Schmerz.
Hiob nimmt sein Schicksal an und bekennt sich weiter zu dem Gott, von dem alles kommt, und zu dem alles zurückkehrt:
„Der Herr hat´s gegeben, der Herr hat´s genommen; gepriesen sei der Name des Herrn." Ein unverbrüchliches Vertrauen spricht aus diesen Worten. Ein solches Vertrauen kann man keinem einreden oder abverlangen. Wir können es nur erbitten und ihm Raum geben, zu wachsen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=11515
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