SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

Das Weinen höre ich bereits auf dem Flur der Kindertagesstätte. Es ist meine fünfjährige Tochter, die Rotz und Wasser heult. „Ich habe keine Einladung," schluchzt sie mir entgegen. Aha. Eines der anderen Kinder feiert Geburtstag. Aber meine Emma ist nicht eingeladen. Was für ein Drama.
Und für meine Tochter ist es ein Drama. Nicht eingeladen. Die anderen dürfen zu einer Party gehen, sie muss zu Hause bleiben. Sie gehört nicht dazu. Nicht zum auserwählten Kreis. Und die kleine Emma kapiert instinktiv, worum es geht. Irgendwo spielt sich etwas Schönes ab, und sie ist außen vor.
Die kleine Emma hat ihre Enttäuschung relativ flott verwunden. Bei Erwachsenen dauert das länger. Bei Erwachsenen dauert es unter Umständen ein Leben lang. Dieses miese Gefühl, nicht eingeladen zu sein. Dass das Leben sich woanders abspielt. Einfach außen vor zu sein.
Knapp fünf Millionen Menschen in unserem Land beziehen Hartz IV. Viele davon, wenn nicht die meisten, würden etwas darum geben, nicht zu diesen knapp fünf Millionen zu gehören, die auf Staatsleistungen angewiesen sind. Weil sie genau dieses Lebensgefühl so satt haben: außen vor zu sein, sich ausgeschlossen zu fühlen.
Einige davon kenne ich. Die heulen nicht Rotz und Wasser. Dazu haben sie gar keine Zeit. Die sind rund um die Uhr damit beschäftigt, über die Runden zu kommen. Cent für Cent auszurechnen, ob es bis zum Monatsende reicht. Und ob vielleicht ein kleiner Luxus für die Kinder drin ist. So etwas wie Kino oder Zoo zum Beispiel. Damit wenigstens die Kinder nicht außen vor sind.
Meine Emma habe ich damit getröstet, dass bestimmt bald ein Geburtstag kommt, zu dem sie eingeladen ist. Und so war es denn auch. Ich wünschte, für die knapp fünf Millionen Hartz-IV-Empfänger in unserem Land wäre das auch so. Dass wir es schaffen, sie ernsthaft einzuladen, Chancen zu eröffnen, Möglichkeiten zu schaffen. Damit beim Fest des Lebens keiner außen vor bleibt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=10184
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