SWR1 Begegnungen

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Heute am ersten Advent wird an vielen Orten gespendet und gesammelt für Notleidende in der Welt. Aber die Not ist manchmal ganz nah. So nah, dass man sie gar nicht sieht.
Andreas Pitz hat über 20 Jahre als Sozialarbeiter für Obdachlose gearbeitet.

Sehr viele obdachlose Menschen sind für Sie überhaupt nicht als obdachlos erkennbar. Das sind Menschen, die wirklich versuchen, so normal als möglich auszusehen. Wir haben Berichte von einem Obdachlosen Mann, der auf eindrucksvolle Weise schildert, wie er sich extra Arbeitskleidung besorgt hat und sich den ganzen Tag in städtischen Grünanlagen aufhält, um den Anschein zu erwecken, er sei Mitarbeiter der Stadt und würde im Park arbeiten.

Obdachlosigkeit ist meistens unsichtbar. Und was man sieht, verleitet oft zu falschen Vorstellungen. Deshalb hat Andreas Pitz Erfahrungen und Berichte von Obdachlosen und deren Helfer in einem Buch zusammengestellt.

Teil 1
Sozialabbau und anhaltende Arbeitslosigkeit halten inzwischen jeden 10. Bundesbürger in Armut. Und doch hält sich das Gerücht hartnäckig, Obdachlose seien arbeitsscheu und wollten sich nur in die soziale Hängematte legen. Diese Einstellung ändert sich jedoch schlagartig, wenn man mit den Betroffenen redet und ihre Geschichte kennen lernt.

Ich hab lange Jahre einen älteren Mann betreut, der war lange Jahre gut situiert hat bei Opel gearbeitet, war verheiratet, zwei Kinder, hat sich ein Haus im Rheingau gebaut und irgendwann ist die Ehe kaputt gegangen, hat seinen Arbeitsplatz verloren, lag auf der Straße und ist dann in Mainz gelandet.

Und kam dort in Kontakt mit der Wohnsitzlosenhilfe. Und das war sein Glück. Denn ein Arzt, der ihn untersuchte, entdeckte bei ihm eine seltene psychische Erkrankung, die viele seiner seltsamen Verhaltensweisen erklärte. Der Mann konnte zwar nicht mehr geheilt werden, aber er bekam die Hilfe, die ihm ein menschenwürdiges Leben möglich machte.
Was den Mann damals gerettet hat- nämlich eine ausreichende medizinische Grundversorgung- steht heute durch die Gesundheitsreform an vielen Stellen infrage.

Also ärmere Menschen mussten früher keine Zuzahlung zu Medikamenten leisten. Es gab keine Praxisgebühr. Auch wohnungslose Menschen sind verpflichtet, Praxisgebühren zu zahlen und Zuzahlung zu Medikamenten zu leisten. Wenn Sie davon ausgehen, dass ein wohnungsloser Mensch pro Tag 11 Euro zur Verfügung hat, können Sie sich vorstellen, dass der freiwillig nicht zum Arzt geht und da 10 Euro auf den Tisch legt.

Das größte Problem aber ist: Wer einmal die Arbeit verloren hat und auf der Straße gelandet ist, hat kaum eine Chance, wieder zurück zu kommen. Denn einen Arbeitsplatz gibt es nur, wenn man einen Wohnsitz nachweisen kann. Und einen Wohnsitz gibt es nur, wenn man Arbeit hat.

Das Grundproblem dieser Hartz Gesetze ist doch, es gibt einfach zu wenig Arbeit. Es ist kein Vermittlungsproblem, das wird uns immer vorgegaukelt, das ist ein Verteilungsproblem. Dieses Motto fördern und fordern ist angesichts der Arbeitsmarktlage in unserem Lande einfach nur zynisch.

Was wäre die Alternative? Zuerst einfach mal hinschauen, die Situation der Betroffenen wahrnehmen und ihnen einfach auf Augenhöhe begegnen. Das ist nicht nur menschlich. Solche Begegnungen bergen in sich einen kostbaren Schatz.

Jesus sagt im Matthäusevangelium: Alles das, was ihr einem meiner geringsten Brüdern getan habt, habt ihr mir getan. Also aus meiner Warte ist über dieses soziale Engagement wirklich auch eine Gotteserfahrung möglich und ich hab das immer wieder erlebt, dass ich was zurückbekommen habe.


Teil 2

Wer sich mit den Lebensgeschichten wohnsitzloser Menschen beschäftigt, stößt sehr bald auf die Frage: Ja, wie gehen wir eigentlich mit den Außenseitern unter uns um?

Das haben wir heute ja sehr oft, diese ganzen tragischen Ereignisse mit Außenseitern, die dann plötzlich Amok laufen. Ich weiß, dass meine Mutter immer sehr großen Wert darauf gelegt hat, wenn ich plötzlich aus der Schule kam und über irgendwen gelästert hab, dann hat meine Mutter sehr genau nachgefragt: ist das wirklich so? Warum sagt ihr das diesem Kind nach? Bring `s doch mit!

Nachfragen, verstehen wollen und einfach was zusammen machen. Diesen Umgang mit Außenseitern hat Andreas Pitz schon als Kind gelernt. Und zwar deshalb, weil es für seine Mutter und seine Großmutter selbstverständlich war. Die beiden betrieben zusammen ein kleines Altersheim, in dem nicht nur komische Alte wohnten, sondern auch manche schräge Typen zu Gast waren.

Und wenn wir Weihnachten gefeiert haben, dann war das eine Selbstverständlichkeit, Leute einzuladen.. normale Leute, aber auch schräge Leute, schwierige Leute. Und dann ist mit all diesen Leuten Weihnachten gefeiert worden. Und das Eindrucksvollste bei diesen Weihnachtsfeiern war- das war eine Idee meiner Großmutter- wir haben dann mit allen Beteiligten ein Krippenspiel gefeiert, also jeder hat dann eine Rolle bekommen, die Hirten und die Engel, das war ein wunderschönes Weihnachtsfest.

Mitfühlend und zugleich unaufgeregt erzählt Andreas Pitz, weder mitleidig von oben herab, noch in Gefühlen zerfließend. Obdachlose sind die Ärmsten der Armen unter uns. Und manche sind wirklich ein bisschen skurril. Aber sie sind Menschen. Sie brauchen nicht Almosen und Mitleid, sondern das Grundrecht auf ein Leben in Würde. Und weil das heute infrage steht, hat Andreas Pitz ein Buch von und über Obdachlose zusammengestellt.

Der Titel des Buches heißt „Arme habt ihr allezeit!“ Es wir deutlich, dass ich zu jeder Zeit in jeder Gesellschaftsform arme Menschen gegeben hat, aber es ist ganz wichtig, wie wir mit armen Menschen umgehen, wie wir diesen Menschen, die am Rande stehen, zu einem würdevollen Dasein verhelfen,

Und das heißt: ausreichende materielle Grundsicherung, medizinische Versorgung und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Die Stärke unserer Gesellschaft zeigt sich besonders darin, wie wir mit unseren Außenseitern und mit den Schwächsten unter uns umgehen. Ob wir ihnen trotz allem mit Respekt begegnen und ob wir darauf drängen, dass auch ihnen das Grundrecht auf ein würdevolles Leben zugestanden wird. Wenn wir das tun, ist das nicht mehr als das, was Gott getan hat und was wir alle Jahre wieder an Weihnachten feiern.

Gott ist Mensch geworden, ist auf die Welt gekommen, aber nicht in Samtgewändern und in einem Palast, sondern als einer der Ärmsten der Armen, obdachlos in einem Stall. Und das ist die Besonderheit der christlichen Botschaft, dass Gott ein Gott der Armen ist.

Wenn Sie sich für das Buch interessieren:
Titel ist:
Arme habt ihr Allezeit-
Vom Leben obdachloser Menschen in einem Wohlhabenden Land,

mit Berichte von Betroffenen, Aufsätzen u.a. von
Dr. Heribert Prantl, Süddeutsche Zeitung
Konstantin Wecker
hrsg. von:
der evangelischen Obdachlosenhilfe e.V. Edition chrismon

zu beziehen bei
wohnungslose@diakonie.dehttps://www.kirche-im-swr.de/?m=265
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