SWR3 Gedanken

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19AUG2023
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Das Leben ist wie ein Eisberg. Gerade mal zehn Prozent kann ich sehen, und der allergrößte Rest liegt verborgen unter der Oberfläche. Das weiß ich, aber trotzdem sitze ich manchmal auf einem ganz schön hohen Ross und denke ich durchschaue alles. Es gibt aber eine Geschichte, die holt mich von diesem Ross runter und lässt mich die Sache vom Eisberg besser verstehen.

Herr Schmitt steigt nach einem langen Arbeitstag erschöpft in den Zug, um nach Hause zu fahren. Beim nächsten Halt steigt ein Vater mit seinen drei Kindern dazu. Der Vater setzt sich still auf einen Platz, während seine Kinder lautstark durch das Abteil krakeelen. Bei Herrn Schmitt beginnt es zu brodeln, bis plötzlich sein Ärger hochkocht und er den Vater ungehobelt zur Rede stellt: „Wie können Sie nur so seelenruhig dasitzen und aus dem Fenster schauen. Halten Sie gefälligst mal Ihre Kinder in Schach!“. Der Vater reagiert überraschend. Er schimpft nicht zurück. Er dreht sich um und antwortet ruhig: „Entschuldigen Sie, dass meine Kinder Sie gestört haben. Wir kommen gerade aus dem Krankenhaus. Meine Frau, die Mutter meiner Kinder, ist gerade nach ihrer langen Krankheit gestorben.“

Wie sich Herr Schmitt gefühlt haben muss, brauche ich nicht zu sagen. Aber das habe ich daraus gelernt: Nichts ist einfach so, wie es scheint. Und vielleicht hat das auch Jesus gemeint, als er gesagt hat: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet.“

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