SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

09JUL2023
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Sie werden gleich einen Spruch von mir hören, da müssen Sie stark sein – zumindest wenn Sie aus Schwäbisch Gemünd kommen. Oder aus Oppenheim. Oder aus dem Markgräfler Land. Oder vom Hunsrück. Es ist völlig gleich. Stellen Sie sich bitte vor: Jemand baut sich irgendwo auf und tönt: „Was kann aus Schwäbisch Gemünd schon Gutes kommen?!“ Oder aus Oppenheim. Egal. Woher Sie halt sind.

Es gibt ja Orte und Gegenden, die haben einfach ihren Ruf weg. Oder zwei Dörfer liegen schon immer im Klinsch miteinander. Nennen wir sie hier einfach mal Ahausen und Bedorf. „Was kann aus Ahausen Gutes kommen!“, spottet der aus Bedorf. Dem Ahausener schwillt der Kamm. Und er haut zurück: „Bedorf! Kennen wir doch! Die waren doch immer schon bekloppt dort!“ Ärmel werden hochgekrempelt. Steine aufgehoben. Ja, man kennt sich, und man weiß, was man von den anderen zu erwarten hat: nichts. Über die Dörfer Ceheim und Deweiler gibt es vielleicht Sprüche wie: „Durch Ceheim kannste gehn – durch Deweiler musste laufen!“ In solchen Sprüchen hört man förmlich die Steine fliegen, die faulen Eier zerplatzen, hört, wie die Mistgabel vom Haken genommen wird.

Kennen Sie das? Haben Sie vielleicht auch solche Lieblingsfeinde? Menschen, die bei Ihnen und bei denen Sie gar keine Chance haben? Wie gesagt, man kennt sich. Man weiß, was man von denen da zu erwarten hat: nichts. Nie. In alle Ewigkeit nicht. Sodom und Gomorrha waren noch besser als Bedorf oder Deweiler!

Womit wir in der Bibel wären. Da gibt es diesen Spruch nämlich auch. Da sagt einer zu seinem Kumpel: „Was kann aus Nazareth Gutes kommen!“ Nathanael heißt er. Und sein Kumpel Philippus wollte ihn gerade überreden, mitzukommen. „Da ist einer“, sagt Philippus, „den musst du dir unbedingt anhören! Auf den haben wir gewartet! Wie der reden kann! Da bleibt dir die Spucke weg! Er kommt übrigens aus Nazareth.“ Und da sagt Nathanel: „Nazareth, ja?! Pf! Was kann aus Nazareth schon Gutes kommen!“ Darauf Philippus einfach: „Na, komm doch mit und guck es dir an!“

Ja, klar, hier geht es um Jesus. Der war eben nicht in Jerusalem im Königsschloss geboren. Der kam aus so einem Kuhkaff und Provinznest. Da hätten sie abends die Bürgersteige hochgeklappt, wenn sie Bürgersteige gehabt hätten. Nazareth … Geht’s noch?! Was kann denn von da Gutes kommen!

Meine Güte, und jetzt stelle ich mir vor, das wäre damals dabei geblieben! Die Nathanaels hätten sich durchgesetzt und Jesus gar nicht erst angehört! Und viele sind ja auch dabei geblieben. Die waren sich einfach sicher: Die aus Nazareth, die kennt man, von denen braucht man nichts zu erwarten.

Aber zum Glück gab es welche wie Philippus. Welche, die gesagt haben: „Kommt! Guckt’s euch an!“

Ich höre immer wieder, wie Leute sagen: „Ich glaube nur, was ich sehe!“ Ich meine, es ist genau anders herum: Eigentlich sehen wir Menschen nur das, was wir glauben. Das, wovon wir überzeugt sind. Das, was wir kennen.

Die aus Bedorf – das sind alles Idioten. Das weiß man doch. Oder man weiß doch, dass man von denen aus Ahausen nichts zu erwarten braucht. Was soll aus Ahausen schon Gutes kommen?

Ein anderes Beispiel: Die Titelrolle im neuen Disneyfilm „Arielle, die Meerjungfrau“ wird von einer dunkelhäutigen Schauspielerin gespielt. Als das vor ein paar Jahren bekannt wurde, haben sich viele empört. Eine schwarze Meerjungfrau?! Nein, die war doch sonst immer hellhäutig! So kennt man das doch – so muss es doch immer bleiben!

Das, was ich kenne, gibt mir Vertrauen. Daran glaube ich. Davon bin ich überzeugt. Wenn es plötzlich anders ist, dann geht das gar nicht! Ein Messias aus Nazareth oder eine schwarze Meerjungfrau: Das geht doch einfach nicht! Das war doch immer schon klar! Und da kommt Philippus und sagt: „Komm! Guck’s dir an! Komm erst einmal gucken und hören. Dann kannst du immer noch dagegen sein.“

Das finde ich sehr klug. Und sehr entspannend. Philippus ist ein guter Freund. Er empört sich nicht über Nathanael. Er argumentiert nicht. Er lädt ihn einfach ein.

Ja, es ist schon so: Ich sehe, was ich glaube. Ich weiß doch: So ist es! So und nicht anders!
Anstatt dass ich richtig hinsehe und mitbekomme, wie es wirklich ist. Dafür brauche ich einen Philippus, der mir nicht gleich die Freundschaft aufkündigt. Der zwar sieht, wie ich mich in meinen Vorurteilen verrenne. Aber der ruhig bleibt und mich einfach mitnimmt – damit ich selbst sehe, und zwar auch ganz in Ruhe.

So kann ich sehen, wie es wirklich ist. Ich muss trotzdem nicht alles gut finden, aber ich verrenne mich auch nicht in vorgefassten Meinungen. Nathanael ist mitgegangen. Er hat sich selbst angeschaut, ob aus Nazareth nicht doch etwas Gutes kommen kann – und das hat sein Leben verändert. Deshalb: Augen auf! Schauen wir, was Gutes kommt – egal woher!

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37991
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