SWR3 Gedanken

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11JUL2023
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Seit gut einem Jahr beschäftigt mich was: Gleichzeitigkeit. Damit, wie absurd es ist, was alles auf der Welt gleichzeitig geschieht. Im letzten Sommerurlaub wurde es mir zum ersten Mal so richtig bewusst.

Da hatte ich drei Wochen Wanderurlaub in den Bergen Österreichs. Es war eine intensive Mutter-Tochterzeit. Kuscheln, streiten, erziehen und lieben. Gleichzeitig brennt in Berlin der Grunewald. Ein paar Tage später, kann ich mein Glück kaum fassen und finde das erste Mal im Leben Edelweiß auf 2750m Höhe, währenddessen wird der jugendliche Mouhamed D. in Dortmund erschossen. An einem Abend spiele ich im Ferienhaus mit meiner Familie "Wer-bin-ich“, in dieser Zeit bekommt meine beste Freundin ein Kind und ein Freund in Berlin stirbt. Einfach so. Er ist genau so alt wie ich.

Elende Gleichzeitigkeit. Das „Sowohl – als - auch“ der Welt ist manchmal kaum auszuhalten und damit immer auch die Frage, wie Gott das zulassen kann.

Ich habe oft das Gefühl, von Religionen – nicht zuletzt von Pfarrerinnen wie mir – wird Klarheit eingefordert. Auf jede Frage soll eine plausible Antwort, eine Erklärung oder wenigstens eine Deutung, kommen. Nur: eine richtig gute gibt es nicht.

Wir haben keine Wahl: wir müssen die Gleichzeitigkeit aushalten!
Es gibt keine eindeutigen Erklärungen für das, was alles gleichzeitig passiert in der Welt. Ich merke an mir, wie sehr mich das belasten kann. Oft weiß ich gar nicht, ob ich mich über etwas freuen darf, wenn doch nebenan jemand gleichzeitig Leid erfährt.

Ich denke jeder von uns muss herausfinden was ihm in solchen Momenten gut tut. Wenn ich das Gefühl habe, ich kann das alles nicht ertragen, dann bete ich. Voller trotziger Hoffnung. Und ich bitte Gott da zu sein, bei aller Gleichzeitigkeit.

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