SWR3 Gedanken

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10JUL2023
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Ich habe schon viele Male Menschen die Hände aufgelegt und sie gesegnet. Das ist ein besonderer Moment für viele. Ein Moment, der Hoffnung und Zuversicht. Doch jetzt ist es anders: Ich habe einen Anruf bekommen. Ein Gemeindeglied meiner Kirchengemeinde ist plötzlich verstorben. Völlig überraschend. Ohne Vorwarnung.

Ich bin ev. Pfarrerin und so hat mich die Familie gebeten vorbeizukommen. Ich fahre also hin. Im Wohnzimmer liegt er friedlich auf dem Sofa. Auf Kissen gebetet. Seine Hände sind gefaltet und ein gelbes Blümchen liegt auf seiner Brust. Seine Familie und auch Freunde stehen um ihn herum. Niemand kann es fassen.

In solchen Augenblicken kann ich nicht viel mehr tun, als da sein. Ich kann beten und ein Ritual für den Verstorbenen und die Hinterbliebenen abhalten: eine Art kleine Andacht. Ich lege meine Hände auf den Kopf des Toten und segne ihn.

"Es segne Dich Gott, der Vater, der Dich nach seinem Bild geschaffen hat. Es segne Dich Gott, der Sohn, der Dich durch sein Leiden und Sterben erlöst hat. Es segne Dich Gott, der Heilige Geist, der Dich zum Leben gerufen und geheiligt hat. Gottes liebevolle Hand führe Dich den Weiten des Himmels zu. Dort mögest Du von der Fülle Gottes leben. Amen"

Wenn jemand zuhause stirbt, wird oft sehr schnell der Bestatter gerufen. Viele Leute wissen gar nicht, dass man den Leichnam noch eine ganze Weile daheim haben darf und dass man die Pfarrerin oder den Pfarrer für einen Segen, anrufen kann. Ich stelle immer wieder fest, wie gut dieses kleine Abschiedsritual im Moment der Ohnmacht und Fassungslosigkeit, tut! Es ist ein intimer Moment. Ich spüre das Leben und den Tod gleichermaßen. Und jedes Mal weiß ich ganz sicher, dass Gott anwesend ist. Ich muss zugeben, ganz am Anfang hatte ich Berührungsängste. Ich empfand leichtes Unbehagen bei der Vorstellung, einen Toten anfassen zu müssen. Mittlerweile ist es für mich ganz natürlich und ein letzter Akt der Nächstenliebe.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37979
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