Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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27JUN2023
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Es war eine geschäftliche Begegnung mit einem mir bis dahin Unbekannten. Weil noch Unterlagen fehlten, die zwischenzeitlich beigebracht werden mussten, ergab sich für uns beide eine Gesprächspause. „Geht es Ihnen gut?“ fragt mich Herr M.. Ich beantworte seine Frage nicht mit dem üblichen „Ja, danke“, sondern zitiere den Spruch meines früheren Lehrers: „Unter jedem Dach wohnt ein Ach“.

Dieser Satz öffnet offenbar sein Herz, und der Mann beginnt zu erzählen: Vor vielen Jahren aus der syrischen Großstadt Homs geflüchtet, landete er nach mehreren Stationen in Deutschland. Hier begann er nochmals zu studieren und mit einer anspruchsvollen Ausbildung, die ihn in seine jetzige Position brachte. „Das hätte ich niemals alleine geschafft“, sagt er mir, „wenn nicht Herr W. , mein Ausbildungsleiter, an mich geglaubt hätte. Ihm verdanke ich alles!“

Was für eine Botschaft: Was ich bin, verdanke ich einem andern!

Auf allen Kanälen höre ich zumeist anderes: Du musst an dich glauben. – Du kannst alles erreichen, wenn du nur an dich glaubst.

"An nichts muss man mehr zweifeln als an Sätzen, die zur Mode geworden sind!" Diese Mahnung wird Georg Christoph Lichtenberg, einem Naturforscher des 18. Jahrhunderts zugeschrieben – und ich denke, sie ist mehr als berechtigt.

Das moderne Mantra: »Glaub an dich und alles wird gut« weckt Zweifel in mir.

Denn ich halte das für eine ausgesprochen armselige Botschaft. Wo käme man denn hin, wenn man nur auf sich allein angewiesen wäre? Wenn es keine Wegbegleiter gibt, die helfen, wenn ich mich verlaufen habe? Menschen, an denen ich mich orientieren kann und die mir vertrauen. 

Und deshalb wünsche ich mir immer wen, der an mich glaubt und wünsche auch andern, dass sie jemanden haben, der zu ihnen steht, sie hält, trägt und ermutigt. So einen Mann wie Herrn W., den Ausbildungsleiter.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37925
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