SWR2 Wort zum Tag

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30NOV2022
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Eigentlich ist sie längst überfällig, meine alte Lederjacke. Viele Sommer hat sie im Schrank gehangen. Und jeden Herbst habe ich sie wieder herausgenommen und gedacht: Na, eine Saison wird sie vielleicht noch halten!

Wie viele Male ich sie habe flicken lassen, weiß ich kaum noch. Die Taschen, die Löcher hatten. Das Innenfutter, das sich gelöst hat, den Reißverschluss, der geklemmt hat.

In diesem Herbst habe ich dann endgültig gedacht: es reicht! Eine weitere Reparatur lohnt nicht mehr. Aber dann stand ich irgendwann im Urlaub im Allgäu vor einem alten, gediegenen Holzhaus. An der Tür ein Schild: „Maßschneiderei“. Da fragst du mal spaßeshalber, dachte ich, und gibst deiner alten Lederjacke noch eine Chance!

Und tatsächlich! Eine junge Frau macht mir die Tür auf. Sie ist die Schneiderin. Das, sagt sie und lächelt, das ist doch kein Problem! Wenige Tage später habe ich meine geliebte - und wieder einmal geflickte Jacke - zurück. Fast wie neu!

Der Psychotherapeut Wolfgang Schmidbauer hat einmal gesagt: „Was ich reparieren konnte, habe ich auf eine neue Weise verstehen, aber auch lieben gelernt.“ Ich kann das bestätigen: Tatsächlich gibt es Dinge, die auch ich lieber ein paar Mal repariere als sie wegzuwerfen. Um ihnen so wieder neues Leben einzuhauchen. 

Jetzt, in der beginnenden Adventszeit, denke ich dabei an einen Satz vom Propheten Jesaja. Den hat er über den erwarteten Erlöser gesagt: „Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.“ Da geht es sicher weniger um beschädigte Gegenstände, als um Menschen, die geknickt sind.

Geknickt durch Ängste, verunsichert im Blick auf die Zukunft. Ob sich das auch reparieren lässt: angeschlagenes Selbstvertrauen, wankende Zuversicht, fehlender Lebensmut?

Advent heißt für mich auch, die Genickten in den Blick nehmen und den Angeknacksten Mut machen. Das Prinzip „kaufen, benutzen, wegwerfen“ in Frage stellen.

Stattdessen die Kunst des Reparierens üben. Den verlöschenden Docht wieder zum Leuchten bringen. Menschen aufrichten. Dazu gehört für mich auch, den alten Traditionen im Advent neuen Glanz zu verleihen. Die vertrauten Lieder anzustimmen und helle Lichter anzuzünden.

Und auszuprobieren, ob ich nicht auf neue Weise zum Leben erwecken kann, was ich vielleicht schon ablegen wollte.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36635
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