SWR2 Wort zum Tag

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12APR2022
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Das ist ein alter Brauch: Vom „Passionssonntag“, heute vor neun Tagen bis zum Karfreitag sind in den katholischen Kirchen die Kreuze verhüllt – meist mit einem violetten Tuch. Am Karfreitag, zur Todesstunde Jesu, wird das Kreuz dann feierlich enthüllt; und zeigt die ganze Wirklichkeit: Jesus, Gottes geliebter Sohn, hängt gefoltert und ermordet am Kreuz.

Vielleicht war das mal einfach liturgische Dramaturgie; erhöhte sozusagen die Spannung. In diesen Tagen bekommt es eine zusätzliche und eine sehr doppelte Bedeutung. Als könnte Gott das Elend einfach nicht mehr sehen und hätte sich hinter dem Tuch versteckt. Sehr verständlich angesichts von Krieg und Elend, die in der ganzen Welt und besonders in der Ukraine Menschen über Menschen gebracht haben und bringen. Und für viele ja auch in der Kirche selbst.

Andererseits: Immer mehr Menschen meinen ja anscheinend, dass sie ganz gut ohne Gott auskommen. Da passt es doch, den Christus am Kreuz zu verstecken; aus dem Sinn – also auch aus den Augen. Zumal „man“ an einem starken und liebevollen Gott sowieso zweifeln könnte, der so viel Gewalt und Not und Elend zulassen würde. Kann ich gut verstehen; manchmal zweifle ich selber mit.

Aber mein Glaube sagt mir etwas Anderes: Weder hat Gott sich abgewendet, glaube ich; obwohl es oft anders scheint. Gott ist vielmehr mitten drin im Leben und im Leiden und im Tod in der Ukraine und auf den vielen Fluchtwegen von dort und sonst wo auf der Welt. Gott ist ja heruntergekommen auf die Erde und damit auch in das Leiden der Menschen. Deswegen hängt er da am Kreuz. Deswegen engagieren sich aber auch so viele Christenmenschen (und andere) für die Menschen in ihrer Not.

Weder hat er sich abgewendet, noch glaube ich, dass Gott schwach ist. Auf die Dauer (schon jetzt und in Ewigkeit) ist Gottes Liebe, hoffe ich, stärker als die kriegsverbrecherische und die alltägliche Gewalt von Menschen gegen Menschen. Spuren dieser Liebe und dieses neuen Lebens zeigen sich schon – überall da etwa, wo Menschen auf der Flucht Gastfreundschaft oder sogar neue Heimat finden, bei anderen Menschen.

Verborgen, unsichtbar, gerade im Moment; aber immer noch ist Gott mitten unter uns!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35204
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