SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

03APR2022
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Was mein christlicher Glaube mir abverlangt, das kann manchmal ganz schön anspruchsvoll sein. So soll ich als Christ meine Feinde lieben. Ich soll Leuten, die mich verachten und mir ihren ganzen Hass ins Gesicht brüllen auch noch Gutes tun. Und falls mir einer ins Gesicht schlägt, dann darf ich nicht mal zurückschlagen. Nein, dem Schläger soll ich vielmehr auch noch die andere Wange hinhalten. Werden skrupellose Gewalttäter sich nicht kaputtlachen über so viel Naivität? Manchmal frage ich mich, ob die steile Ethik, die Jesus da gepredigt hat, nicht in Wahrheit zu oft lebensfremd ist. Eine, mit der sich die von manchen belächelten Gutmenschen in ihren Kreisen wohlfühlen mögen, die aber nicht taugt für die raue Wirklichkeit in dieser Welt. Und dann gibt es da auch noch diese Geschichte, die heute Morgen in den katholischen Kirchen zu hören ist.

Da wird von einer Frau erzählt, die angeblich beim Ehebruch erwischt worden ist (Joh 8,1-11). Nach dem jüdischen Gesetz damals stand darauf der Tod. Und zwar nicht nur für die Frau, sondern auch für ihren Liebhaber. Den allerdings erwähnt die Geschichte gar nicht und darum riecht der ganze Fall nach einem abgekarteten, hinterhältigen Spiel, das ein paar Männer mit dieser Frau treiben. So ist es auch ein reiner Männertrupp, der sie in der Geschichte vor Jesus schleppt. Auch der soll sie verurteilen und es gutheißen, dass sie öffentlich gesteinigt wird. Eine Falle, bei der Jesus eigentlich nur verlieren kann. Stimmt er nämlich zu und sagt: „Ja klar, ihr habt recht, steinigt sie!“, dann kann es nicht so weit her sein mit seiner Sympathie für Schwache und Sünder. Lehnt er die Strafe aber ab, dann sind ihm die jüdischen Gesetze offensichtlich egal. Wie Jesus darauf reagiert, das finde ich allerdings ziemlich genial. Er sagt ihnen nämlich: Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe als Erster einen Stein auf sie. Es folgt ein vielsagendes Schweigen und ein Mann nach dem anderen verzieht sich. Am Ende der Geschichte stehen nur noch Jesus und die Frau da.

Allerdings: Der geniale Satz, der hier die entscheidende Wende bringt, hat es in sich. Darf ein Richter demnach keinen Straftäter mehr verurteilen? Wer kann schließlich schon von sich sagen, dass er völlig frei von jeder Schuld ist? Und darf ich vielleicht nicht mal mehr den Mund aufmachen, wenn mich etwas stört? Muss ich mir dann jedes Mal vorhalten lassen: „Bevor du hier die Klappe aufreißt, kehr erstmal vor deiner eigenen Tür?“ Genial ist er ja, der Satz. Aber Hand aufs Herz. So funktioniert die Welt doch nicht.

Muss ich mir als Christ, der nach der Ethik Jesu leben will, also alles gefallen lassen? Das dumme Schaf sein, das auch dem brutalen Aggressor keinen Widerstand leistet? Und darf ich mir nur noch dann ein Urteil über andere anmaßen, wenn ich selber ein Heiliger bin? In einer idealen Welt mag das funktionieren. In jenem Reich Gottes vielleicht, das Jesus gepredigt und das er in zahlreichen Gleichnissen beschrieben hat. Doch wie schrecklich weit wir davon entfernt sind, sehen wir jeden Abend im Fernsehen. Ist die Ethik Jesu also doch eine Schön-Wetter-Ethik? Etwas fürs Poesiealbum, aber nicht für die raue Wirklichkeit? Ich mag das nicht glauben.

Wir leben in keiner idealen Welt. Und darum kann, ja muss ich mich auch gegen Hass und Gewalt zur Wehr setzen können. Die Frage ist nur, in welcher Haltung ich das tue. Vor allem im Krieg erscheint der hohe Anspruch Jesu fast schon übermenschlich. Wenn wir vom Krieg reden, dann wird der Feind schnell zum Monster, zum Tier. Ein Mensch wie ich und du kann so einer ja nicht mehr sein. Angesichts dessen, was Menschen sich antun, ist das verständlich. Und der Appell, meine Feinde zu lieben, klingt da nicht nur naiv. Er wirkt geradezu obszön. Doch den Gegner zu entmenschlichen, in ihm keinen Menschen mehr zu sehen, macht den Weg erst recht frei für Hass und entfesselte Gewalt. Der christliche Aufruf zur Feindesliebe, so wie ich ihn verstehe, ist darum vor allem ein Appell, aus dem Anderen kein Monster zu machen. Zu versuchen, in ihm trotz allem immer den Menschen wahrzunehmen. So schwer es auch fallen mag. Einen Mitmenschen, gegen den ich mich, wenn nötig, aber auch wehren und verteidigen darf.

Und die Ehebrecherin aus der Geschichte, deren Leben Jesus rettet? Am Ende der Geschichte steht nur noch die Frau im Zentrum. Nicht ihr Vergehen. Der Mensch also und nicht das Zerrbild einer verkommenen Sünderin. Da steht eine von uns, erzählt diese Geschichte. Inmitten einer Welt, die nicht ideal ist. Einer Welt mit Fehlern, weil auch jede und jeder von uns selbst Fehler macht. Diese Fehler kann und darf ich benennen und verurteilen. Die Sünde, wie die Bibel das nennt, soll ich vernichten. Aber niemals den Menschen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35164
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