SWR1 Anstöße sonn- und feiertags

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27MRZ2022
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Woher nehmen Menschen diese innere Kraft? Das habe ich mich neulich wieder bei den Paralympics gefragt. Erstaunlich genug, wie man das hinkriegt, auf einem Bein eine Skipiste runterzurasen oder blind eine Loipe entlang zu jagen. Aber woher nehmen Athletinnen und Athleten die innere Kraft, trotz einer Behinderung solche Spitzenleistungen zu bringen? Offenbar lassen sie sich von den Herausforderungen, die schon der Alltag stellt, nicht ausbremsen, sondern suchen sich noch größere. Und zwar nicht irgendwo, sondern gerade im Sport, wo die körperliche Einschränkung ja sichtbar und spürbar ist.

Vor kurzem habe ich dazu Interview mit Denise Schindler gehört. Sie ist Radsportlerin und hat im Sommer in Tokyo bei den Paralympics Bronze im Verfolgungsrennen gewonnen. Und sie hat ein Buch geschrieben: Vom Glück, Pech zu haben heißt es. Als Denise Schindler zwei Jahre alt war, hat sie bei einem Unfall ein Bein verloren. Sie musste in ihrer Kindheit immer wieder operiert werden, sie musste Hänseleien von ihren Mitschülern aushalten. Und sie hat bis heute immer wieder Schmerzen. Sport war für sie lange Zeit ein Horrorthema, erzählt sie. „Macht nichts, wenn ihr einer mehr seid“, sagte der Sportlehrer in der Schule zu Denises Mannschaft. „Ihr seid ja behindert.“ Erst im Fitnessstudio entdeckt sie als junge Frau das Radfahren für sich.

Trotz allem: Im Nachhinein hat Denise Schindler den Eindruck, dass die Schwierigkeiten, mit denen sie bis heute zu kämpfen hat, sie auch stark gemacht haben. Dass das Pech, das sie hatte, auch ein Glück war – wie es ihr Buchtitel sagt. Die Widerstandskraft, die sie durch ihre Behinderung entwickelt hat, hilft ihr heute auch, im Sport durchzuhalten. Jetzt ist sie Olympionikin.

Es gibt wahrscheinlich keinen Menschen, der ohne Blessuren durchs Leben geht. Denise Schindler macht als Sportlerin Mut, damit zu leben: Die Wunden, die das Leben schlägt, nicht zu verstecken, sondern offen damit umzugehen – und zu sehen, was daraus noch werden kann. Das Vertrauen zu behalten in das Geschenk des Lebens.

Sie sagt: „Jeden prüft das Leben. Bei manchen ist es sichtbarer, bei anderen weniger. Das Leben ist nicht immer fair. Aber es kann schön sein. Man muss eben lernen, im Regen zu tanzen.“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35120
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