Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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26MRZ2022
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Fast täglich finden sich bei uns im Land gerade Menschen zusammen, um zu beten. Für den Frieden. Für Verständigung. Für ein Ende der Gewalt. Aber bringt Beten in solchen Zeiten überhaupt was? Verkürzt Beten das tausendfache Leid auch nur um einen einzigen Tag? Werden die Despoten und Kriegstreiber nicht mitleidig lächeln, wenn sie unsere Gebetskreise und Lichterketten sehen? Und wenn ich ganz ehrlich bin: Was erwarte ich überhaupt ernsthaft, wenn ich um Frieden bete? Die Fragen treiben mich um. Ich hab sie mir öfters in den letzten Wochen gestellt.

Der Präsident der Katholischen Friedensbewegung Pax Christi, der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf, hat in einem Interview vor Kurzem dazu gesagt: Ich glaube, dass im Moment eine Situation ist, wo vielen Menschen die Sprache fehlt und ich meine, dass Gebet eine gute Sprache ist, … weil Gebet nicht nur Fürbitte ist für Frieden, sondern auch Klage. Das Gebet gibt auch den Leidenden im Krieg eine Stimme.

Das ist ein wichtiger Gedanke, finde ich. Eine Sprache zu finden, wenn mir die Worte fehlen. Denn Beten braucht keine Worte. Beten geht auch schweigend. Und es verbindet mich über Grenzen hinweg mit Menschen, die jetzt betend im Luftschutzkeller sitzen. Und mit all denen, die um ihre Liebsten bangen, egal auf welcher Seite. Und Gott? Gott braucht meine Gebete nicht. Aber vielleicht brauche ich sie ja, um einen Ausdruck für das zu finden, was mir auf der Seele liegt. Und manchmal auch, um mich an diesem Gott abzuarbeiten, den ich so oft nicht verstehe. Dem ich im Gebet manchmal entgegen schleudern möchte: „Was soll das, Gott? Warum muss das sein? Und wo bist du eigentlich in all diesem Elend?“ Und dann hoffe ich darauf, dass er mittendrin ist. Ganz nah. Bei den Menschen im Luftschutzkeller und an der Seite all derer, die um ihre Liebsten bangen.

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