SWR2 Wort zum Tag

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25MRZ2022
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Es ist ein kleines Gedicht, das mich in diesen Tagen besonders berührt. Es heißt „Nach dieser Sintflut“. Die österreichische Schriftstellerin Ingeborg Bachmann hat es im Jahr 1957 geschrieben. In dem Gedicht zitiert sie die biblische Geschichte von Noah und der Arche.

Nach dieser Sintflut/möchte ich die Taube,/und nichts als die Taube,/noch einmal gerettet sehen.
Ich ginge ja unter in diesem Meer!/flög‘ sie nicht aus,/brächte sie nicht/in letzter Stunde das Blatt.

Sintflut, denke ich, kann ja für vieles stehen. Sintflut erlebe ich, wenn meine Sicherheiten weggeschwemmt werden. Wenn eine als unumstößlich betrachtete Ordnung plötzlich zusammenbricht. Was bleibt dann noch an Hoffnung?

Wie in der biblischen Sintflutgeschichte ist es auch im Gedicht die Taube, die nach vierzig schrecklichen Tagen der Flut ein Blatt im Schnabel trägt. Ich lese dieses Blatt als Hoffnungszeichen. Dass die rettende Küste nah ist. Dass trotz der Katastrophe wieder Neues entstehen kann.

Vielleicht ist aber auch - im übertragenen Sinn - das Blatt gemeint, das sich wenden kann, wenn ich erlebe, wie aus meiner Schwäche plötzlich eine Stärke wird. Oder es ist ein leeres und unbeschriebenes Blatt, das einem Menschen erlaubt, einen neuen Anfang zu machen.

Jedenfalls macht es für mich einen Unterschied, ob ich in meinem Leben Ausschau halte nach so einem Blatt, das Hoffnung verspricht. Oder ob ich meinen Blick trüben lasse von den grauen Wassern der Sintflut, die sich endlos vor mir erstrecken.

Ich bin übrigens sicher, dass ich die tägliche Nachrichtenflut besser ertrage, wenn ich meinen Blick schärfe für alles, was Hoffnung macht. Für noch so kleine Hinweise, wo Auswege aufzeigt werden und sich mögliche Lösungen andeuten.

Wie kürzlich, als die Journalistin Marina Owsjannikowa in einer Live-Sendung der russischen Tagesschau auftauchte. Plötzlich stand sie hinter der offiziellen Nachrichtensprecherin und hob energisch ein Blatt hoch.

Auf dem Blatt stand mit der Hand geschriebenen: „Stoppt den Krieg. Glaubt der Propaganda nicht!“ Nur sieben Sekunden lang war das Blatt zu sehen. Aber Millionen Menschen haben es gelesen.

Für mich ist es ist eine dieser Geschichten, die Mut machen. Mut machen, Ausschau zu halten nach Hoffnungsbotschaften, wie sie auf solchen Blättern stehen. Unüberlesbar und unübersehbar!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35087
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