SWR3 Gedanken

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22MRZ2022
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Es wird Frühling und ich erinnere mich an einen Frühlingsmorgen vor ein paar Jahren. An einen Morgenspaziergang durchs Dorf. Meine damals sechsjährige Tochter, auf ihrem kleinen blauen Flitzefahrrad, und meine schwarze Hündin Frieda haben mich begleitet. Wir sind durch die kleinen niedlichen Gässchen des Dorfes spaziert und an der kleinen Kapelle vorbei gekommen, die gerade erst frisch restauriert wurde.

Meine Tochter hat angehalten und ihr Fahrrad abgestellt: „Mami, warte mal. Ich geh mal schnell Gott „hallo“ sagen!“ Und schon ist sie hinter der Holztür im Kapellchen verschwunden.

Ich erinnere mich, dass ich lächeln musste. Mein Kind kennt Kirchenräume, seit sie Kleinkind ist. Kirchen gehören für sie selbstverständlich zum Leben dazu, wie Kinderzimmer zu jedem Haus mit Kindern.

Sonntags vor den Gottesdiensten hat sie sich früher immer ihre Malsachen in der ersten Bank zurecht gelegt, hat schnell auf der Empore beim alten Organisten vorbeigeschaut, dem „Messmer“ geholfen und Gemeindeglieder begrüßt. Alles ganz selbstverständlich, als wäre sie zuhause.

Aber an diesem Morgen stelle ich fest: um Gott „hallo“ zu sagen, braucht mein Kind noch etwas anderes: Eine geschlossene Tür. Ein kleiner Raum. Ungestört sein. Keine Mami, die ermahnt oder neugierig zuschaut. Stille und Privatsphäre. Ein Holzkreuz mit Jesus. Zwei bunte Kirchenfenster. Und rechts und links Engelchen mit Goldstaub!

Ein paar Minuten vergingen. Geduldig haben Frieda und ich gewartet. Da kommt meine Tochter aus dem Kapellchen. Strahlend! Sie steigt auf ihr Flitzefahrrad und fährt los in Richtung Feld. Wir haben ein paar Minuten geschwiegen, bis sie sagte: „Mami…, ich hab´ Gott „hallo“ gesagt. Und Jesus. Und Maria. Und…“ sie hielt inne. „Und ich hab die Engel angefasst.“ Wir grinsen uns an. Ich verstehe: die Engel mussten einfach angefasst werden.

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