SWR3 Gedanken

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19MRZ2022
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Das ist schlimm, wenn man lügen muss. Wenn man das, was wirklich war, nicht sagen darf, weil man sonst keine Chance hat.

Bei Nadine war das so. Nadine war zwölf Jahre lang Prostituierte. Mit achtzehn hat sie den falschen Mann kennengelernt. Der hat sie so weit gebracht, dass sie jede Nacht ins Bordell gegangen ist, um Geld für ihn zu verdienen. Jetzt sitzt Nadine in einer Beratungsstelle für Frauen, die aus dem Rotlichtmilieu aussteigen wollen. Die Beraterin fragt Nadine, ob sie es wirklich schaffen will. Denn Aussteigen ist unglaublich schwer. Und es geht nur mit Lügen. Die Beraterin sagt zu Nadine: „Schreiben Sie auf keinen Fall, was sie gearbeitet haben. Für die zwölf Jahre Lücke im Lebenslauf müssen Sie was anderes erfinden.“ Nadine schreibt über achtzig Bewerbungen, und dann schafft sie es. Sie hat einen Ausbildungsplatz und zieht ihre Ausbildung durch. Das packt sie nur, weil sie einen liebevollen Partner hat und eine Psychologin, die sie begleitet. Denn Nadine ist von ihrer Zeit im Bordell immer noch schwer traumatisiert.

Ich bewundere Nadine und gleichzeitig verurteile ich unsere Gesellschaft. Einerseits heißt es in Deutschland ganz offiziell: Prostitution ist ein legaler Beruf wie jeder andere. Ist also okay, wenn Männer ins Bordell gehen. Andererseits musste Nadine für ihren Ausstieg verheimlichen, was sie gemacht hat. Das ist verlogen.

Ich wünsche mir eine ehrlichere Gesellschaft. Ich möchte in einem Land leben, das Prostitution verbietet, Freier bestraft und Frauen wie Nadine endlich schützt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35030
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