SWR3 Gedanken

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18FEB2022
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Sich in Diskussionen voll reinhängen, aber gleichzeitig gelassen bleiben. Das kann mein alter Schulfreund Sebastian. Der verteidigt, was er denkt, aber trotzdem zerbricht er sich danach nicht den Kopf drüber. Jetzt hat Sebastian aber eine Story erlebt, da ist das doch so gewesen. Sebastian hat beim Joggen seine alte Bekannte Julia getroffen. Erst plaudern die beiden über dies und das und dann landen sie relativ schnell beim bekannten Virus. Julia erzählt Sebastian, wie schlecht es ihr in der Pandemie geht: Dass sie sich an Weihnachten mit ihren Eltern total zerstritten hat. Und alles nur wegen dieses einen Themas: Impfen. Und jetzt fühlt sich Julia in ihrer Familie wie ein Fremdkörper und irgendwie von allen Seiten verurteilt. Sebastian erzählt mir das und sagt: „Vieles von dem was mir Julia gesagt hat, hat sich für mich erstmal Spanisch angehört. Sie sieht vieles völlig anders als ich. Ich hab ihr aber einfach zugehört. Jetzt macht Sebastian eine Pause. „Und… Was willst du mir jetzt damit sagen?“, frage ich ihn. Sebastian erklärt mir, dass er in dem Moment von sich selbst überrascht war. Er sagt: „Ich hab diesmal gar keinen Drang gehabt direkt Contra zu geben; ich hab mir ihre Sicht einfach angehört. Das hat natürlich nur funktioniert, weil Julia keine ist, die mit irgendwelchen abstrusen Ideen oder mit Hass oder Ignoranz um sich schmeißt. Und ganz zum Schluss sagt mir Sebastian noch: „Ich glaube es hat Julia gut getan, dass sie einfach mal bis zum Schluss ausreden konnte.“ Ich hab viel über Sebastians Geschichte nachgedacht. Vielleicht kommt genau das gerade immer wieder zu kurz: dass man sich in Ruhe zuhört. Die Nerven liegen ja auch blank. Verständlich, dass auch schnell geschimpft wird oder dass man sich gegenseitig in Schubladen steckt. Ich bewundere aber Leute wie Sebastian. Die stehen zu dem, was sie wichtig finden und trotzdem stellen sie nicht gleich die Stacheln auf. Sie können zuhören!

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