SWR2 Wort zum Tag

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27DEZ2021
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Was mich in diesem Jahr besonders zum Nachdenken gebracht hat, war die lange Diskussion um das Thema „Freiheit“. Was ist Freiheit, worin besteht sie?

In jungen Jahren habe ich Freiheit erlebt, wenn alte Zöpfe abgeschnitten und überholte Rituale abgeschafft wurden. Da ging es darum, den eigenen, persönlichen Spielraum zu erweitern. Der Focus war dabei auf den Einzelnen gerichtet, auf das Individuum.

Mach, was Du willst, wurde uns dann ja auch von allen Seiten eingeflüstert. Verwirkliche dich selbst! Allein dein Leben gilt.

Dieses Verständnis von Freiheit, finde ich, hat längst seine abgründigen Schattenseiten offenbart. Aus der Freiheit des Einzelnen ist vielfach ein Ego-Trip von vielen geworden.

Das erweist sich als schädlich in Zeiten, wo vieles nur gemeinsam gelingen kann. Der Schutz unserer Lebensbedingungen. Das Bewahren der Schöpfung. Der Kampf gegen eine Pandemie.

 Was bin ich da ohne die anderen? Ohne ein Mitbedenken, wie sich mein Anspruch auf Freiheit auf den Anspruch anderer auswirkt?

Ich bin ja keine Insel im weiten Meer. Ich bin, wie der jüdische Philosoph Martin Buber sagt, nur in Beziehung zu Anderen.

In diesen ruhigeren Tagen zwischen den Jahren habe ich mir darum mal wieder Bubers Buch „Ich und Du“ aus dem Regal genommen. Darin stehen wunderbare Sätze über das menschliche Miteinander. So wie es sein kann. „Der Mensch wird am Du zum Ich“, schreibt Buber. Und „Der freie Mensch ... muss seinen kleinen Willen, den unfreien, von Dingen und Trieben regierten, seinem großen opfern, der vom Bestimmtsein weg auf die Bestimmung zugeht.“

Die menschliche Bestimmung aber liegt in der Beziehung zu Anderen, in der Begegnung mit ihnen. Denn, so Bubers tiefste Überzeugung: „Alles wirkliche Leben ist Begegnung.“

Solche Worte, finde ich, öffnen Türen. Sie weisen den Weg aus einer rücksichtslosen Selbstverwirklichung. Weil ein Verhalten, das die Freiheit des anderen nicht mitbedenkt und respektiert, gefährlich ist.

In der Schwebe zwischen den Jahren, will ich mir noch einmal klarmachen, was es heißt, dass Leben nur im Miteinander von Ich und Du möglich ist. Und dass meine Freiheit erst da Weite und Horizont gewinnt, wo sie die Freiheit meines Gegenübers im Blick hat. 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34549
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