SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

19DEZ2021
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Ich kann mich noch genau daran erinnern, weil es einer der schönsten Momente dieses Jahres für mich war. In meinem Freundeskreis waren endlich alle geimpft, genau wie ich. Viele von ihnen wohnen weit weg. Und nach über einem Jahr haben wir uns im Sommer endlich wiedergesehen Ohne Bildschirm, eine echte Begegnung. Monatelang hatten wir auf diesen Moment gewartet – was früher selbstverständlich und normal war, dass wir uns gegenseitig besuchen konnten, das war auf einmal so wertvoll, so besonders.

In den katholischen Gottesdiensten wird heute, am vierten Adventssonntag eine Bibelstelle vorgelesen (Lk 1,39-45), in der es auch um einen Besuch geht. Um den Besuch von Maria bei Elisabet, ihrer Verwandten. Und die Bibel hat ein sehr schönes Bild für das, was bei diesem Besuch passiert. Da schreibt der Evangelist Lukas: „Nach einigen Tagen machte sich Maria auf den Weg und eilte in eine Stadt im Bergland von Judäa. Sie ging in das Haus des Zacharias und begrüßte Elisabet. Als Elisabet den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leib.“ (Lk 1,39-41).

Als ich den Bibeltext lese, da erinnert mich das Hüpfen des Kindes in Elisabeths Leib an mein vor Freude hüpfendes Herz  als ich meine Freundinnen und Freunde wiedersehe. Weil wir alle die Gemeinschaft brauchen, weil wir als Menschen auf Begegnung hin geschaffen sind. Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber hat das mal ganz wunderbar auf den Punkt gebracht als er sagte: „Alles wirkliche Leben ist Begegnung.“

Und deshalb ist es glaube ich auch so wichtig, dass wir Menschen  auch in diesem Winter wieder untereinander verbunden bleiben. Auch wenn wir die Kontakte reduzieren müssen, um einander zu schützen, dürfen  wir uns nicht komplett aus den Augen verlieren, sondern müssen kreativ werden. Ein Besuch, das kann eben auch heißen: Ich besuche das Ohr meiner Freunde und Verwandten am Telefon. Oder ich bin mit ihnen beim Spieleabend per Videokonferenz verbunden. Oder mein kleines Geschenkpaket, meine Weihnachtskarte mit persönlichen Worten besucht den Briefkasten eines Menschen, der vielleicht gar nicht damit rechnet. Und sich deshalb doppelt freut. Oder ich besuche eine Kirche und zünde ein Licht an für alle, die gar keinen Besuch bekommen – in den Alten- und Pflegeheimen, den Krankenhäusern. Ganz besonders stark finde ich, dass es in Kirchengemeinden an vielen Orten auch Besuchsdienste gibt für einsame Menschen – eine kleine Geste, ein  kurzes Gespräch auf Abstand an der Tür, um einander nicht zu gefährden. Die aber zeigen: auch du bist nicht vergessen. Und das Herz hüpft vor Freude bei Menschen, die das ganze Jahr über wenig Besuch bekommen, weil sie alt und krank sind.  

In den Sonntagsgedanken geht es heute darum, wie wichtig für uns Menschen Besuch und Begegnung sind. Das erleben auch Maria und Elisabet, denn im Evangelium heißt es, dass das Kind in Elisabeths Leib  vor Freude hüpft, als Maria sie besucht. Weil sie spürt: Hier passiert noch etwas viel Größeres. Hier kommt in der schwangeren Maria, im Jesuskind bald nicht nur Gott zu Besuch und geht dann wieder. Nein, Gott wird als Mensch in diese Welt hineingeboren. Und damit solidarisiert er sich ein für alle Mal mit uns Menschen. Die Freude darüber, die darf ich in ein paar Tagen an Weihnachten wieder feiern. Aber was heißt das eigentlich - Gott wird Mensch?

Für mich heißt das: Gott zeigt uns wie groß seine Liebe zu jedem einzelnen Menschen ist, indem er sich in einem Kind ganz klein macht. Indem er sich widrigsten Bedingungen aussetzt: in einem kalten, stinkenden Stall zur Welt kommt, ohne Obdach und schon kurz nach der Geburt auf der Flucht. Nicht willkommen. Und so all das kennt, was auch Menschen trifft: einsam zu sein, ausgeschlossen, gemobbt. Und deshalb kann ich auch ganz anders zu diesem menschgewordenen Gott beten, der mich versteht, weil er mir im Leid nahe ist.

Elisabeth weiß um diese alles verändernde Kraft der Weihnachtsbotschaft, wenn sie laut ruft: „Gesegnet bist du mehr als alle anderen Frauen und gesegnet ist die Frucht deines Leibes.“ In  Jesus Christus zeigt  Gott: Ich will auch all denen Trost und Kraft geben, die keinen Besuch bekommen, die sich einsam und vergessen fühlen - in den Alten- und Pflegeheimen, auf den Intensivstationen, auf der Straße, ohne Obdach, hinter einsamen Wohnungstüren. Damit stellt er unsere Welt auf den Kopf und rückt jene ins Rampenlicht, die sonst eher am Rand stehen. Dieser Gott kommt nicht nur kurz zu Besuch, sondern  durchlebt alles, was zum Menschsein dazugehört.

Diese Liebeserklärung Gottes an mich lässt mein Herz hüpfen und Saltos schlagen. Und der menschgewordene Gott erinnert mich daran, auch selbst menschlich zu handeln. Das braucht im Pandemiewinter, in dem wir andere schützen und deshalb wieder Abstand halten müssen, innovative  Ideen. Und deshalb will ich überlegen, wie ich in diesen letzten Tagen vor Weihnachten noch Menschen eine Freude machen kann, deren Herz sich danach sehnt mal wieder zu hüpfen. Wenn sie den Hörer abnehmen und eine vertraute Stimme hören, oder am Briefkasten überrascht werden.  Oder, die so dringend eine Spende brauchen, weil sie in Afrika oder Afghanistan zu verhungern drohen. Für sie alle ist Gott als Mensch zur Welt gekommen. Und will auch heute zur Welt kommen: in unserer Mitmenschlichkeit.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34504
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