SWR2 Wort zum Tag

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15DEZ2021
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Der Schauspieler Edgar Selge hat einmal auf die Frage, ob er religiös sei, geantwortet:
„Meine eigene Religiosität ist mir verlorengegangen. Sie ist gewissermaßen durch Nichtachtung im Laufe der Jahre verwildert. Als Kind war sie noch da und deutlich spürbar. Da war die Sehnsucht nach Gott der schönste Garten, in den ich mich zurückziehen konnte. Erstaunlich, wie man so etwas vergessen kann. Und eigentlich auch schade!“[1]

Ich kann das gut nachvollziehen, wenn ich mich an meine eigene Kinderzeit erinnere: Wie leicht war es als Kind zu glauben. Und wie groß das Vertrauen. Zum Beispiel wenn ich von einem hohen Baum in die Arme meines Vaters sprang. Ich staunte über jeden kleinen Käfer. War voller Sehnsucht nach dem Wunderbaren, das sich gerade im Advent so spürbar gespiegelt hat, im warmen Lichterglanz der Adventskerzen, dem gespannten Öffnen der Türen des Adventskalenders, im andächtigen Hören der mit dieser Zeit verbundenen Geschichten, kredenzt mit Mandarinen, Nüssen, Marzipan und leckerem Gebäck.

Ich vermute, viele haben ähnliche Erinnerungen. Auch an die Zeit der Pubertät, in der dieser Glaube Brüche bekommen hat, weil sich Zweifel eingestellt haben. Und womöglich geblieben sind, so dass Glaube und Religiosität verloren gegangen sind und, wie Edgar Selge es ausdrückt, „durch Nichtachtung im Laufe der Jahre verwildert“ sind. Es berührt mich, dass Edgar Selge diesen Verlust nicht als gegeben hinnimmt, sondern bedauert.

Ich finde, die Adventszeit bietet die große Chance, dieser Sehnsucht nach Gott wieder neu nachzuspüren. Wieder aufleben zu lassen, was erstickt ist. Das, was verwildert ist, wieder frei zu legen durch eine besondere Achtsamkeit auf das, was sich hinter den einzelnen Bräuchen verbirgt. Durch Zeit für anderes, als hektisches und geschäftiges Treiben.

Da kann die Adventszeit zu einem schönen Garten werden, in dem die Sehnsucht nach Gott wieder aufblüht, weil sie gepflegt wird und Nahrung findet. Da sind so viele Blüten und Düfte, denen zu begegnen sich lohnt. Beim Schmücken der Wohnung mit Tannenzweigen, dem Backen von Gebäck, den leuchtenden Fensterbildern, Advents- und Weihnachtssternen. Da sind so viele Orte und Wege. In Ruhe und Stille tun sie sich auf. Beim Nachdenken über ein besinnliches Wort. Und auch beim Singen von Liedern oder beim Hören von Musik, die das Herz ruhig werden lassen. Legen Sie sich ihr ganz eigenes Adventsgärtlein an!

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[1] Zitiert aus: „Ich spiele einen Kohlhaas im Genre des Horrorfilms“, Edgar Selge im Gespräch mit Jörg Michael Seewald; FAZ Nr. 272 vom 22.11.13, S. 39.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34479
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