Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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10DEZ2021
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Manchmal überrascht mich die bestechende Logik der alten biblischen Texte. In einem Psalm schreibt zum Beispiel einer: sollte Gott uns nicht hören – wo er doch das Ohr geschaffen hat? Und sollte er uns nicht sehen, wo er doch das Auge geschaffen hat? Offensichtlich geht der Psalmbeter in der Bibel davon aus: wenn Gott uns Menschen mit so essentiellen Sinnen ausgestattet hat, dann wird er sie selbst auch nutzen. Ich kann nur hoffe, dass das stimmt. Ich hoffe, dass Gott die Menschen auf der Welt sieht und seine Ohren hören. Und dass Gott mehr aushält als ich: Denn ich möchte mir manchmal die Ohren zuhalten. Wenn ich in den Nachrichten höre, dass da im Ärmelkanal wieder Menschen ertrunken sind. Männer, Frauen, Kinder. Weil Sie auf der Suche gewesen sind, nach einem Ort zum Leben. Weil sie gegen jede Vernunft, aber voller Hoffnung in ein Boot gestiegen sind. Weil sie keinen anderen Weg wussten. Und anstatt den Menschen zu helfen, ihr Leben zu retten und etwas gegen das Elend zu unternehmen streiten europäische Länder über Zuständigkeiten. Und ich möchte den Blick abwenden von den Bildern hungernder Menschen in Madagaskar und frierender Menschen an der Grenze zu Belarus. Und von denen, die mit Lebensmittelpreisen an der Börse spekulieren, die Preise auf der ganzen Welt in die Höhe treiben, aber lieber Mauern bauen, anstatt Not zu lindern. Ich kann nur hoffen, dass Gott hört und schaut. Und ich hoffe, dass Gott Verständnis dafür hat, dass ich manchmal eine Pause brauche vom Elend in der Welt: die Augen schließen und den Fernseher ausschalten. Aber irgendwann will ich mir auch wieder sagen lassen: Wer Ohren hat zu hören, der höre und wer Augen hat zu sehen, der sehe. Das hat Jesus zu seinen Freunden und Freundinnen gesagt: die Sinne, die Gott uns geschenkt hat,  nutzen. Und zwar,  um einen realistischen Blick auf die Welt zu behalten die Spuren des Reiches Gottes nicht zu übersehen. Mitten in dem Leid und der Not gibt es Menschen, die die Hoffnung nicht aufgeben. Es gibt die Versuche, den Welthandel gerechter zu machen. Da sind Menschen, die den Mut nicht verlieren und gegen Flucht, Hunger und Elend ankämpfen. Ich glaube Jesus hat gewusst: wir Menschen brauchen Hoffnung. Gute Nachrichten und hin und wieder ein Wunder. Damit wir nicht aufhören, an eine Welt zu glauben, in der Menschen einander annehmen. In der das, was uns verbindet stärker ist, als das, was uns trennt. Danach will ich Ausschau halten. Weil es Kraft gibt auch dem Schrecken und der Not in der Welt standzuhalten.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34428
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