SWR2 Wort zum Tag

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11NOV2021
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Martinus, der römische Soldat, teilt seinen Offiziersmantel mit einem Bettler. Diese Szene wird heute bei den Laternenumzügen oft nachgespielt. Für uns heute klingt das verkraftbar. Wenn ich einen alten Mantel in die Kleidersammlung gebe, habe ich meist schon einen neuen oder mindestens noch eine dicke Jacke.

Jetzt zum Jahresende hin oder bei besonders schlimmen Katastrophen folge ich oft den vielen Spendenaufrufen und gebe etwas für den guten Zweck. Meist ist der Betrag, den ich spende, gut für mich verkraftbar. Ich habe trotzdem ein zwiespältiges Gefühl dabei. Für mich ist das aber eher eine Almosen-Spende. Ich könnte mehr geben. Ich gebe etwas von meinem Überschuss ab, was ich verkraften kann. Wie um mein Gewissen zu beruhigen.

Wenn ich die Geschichte des heiligen Martinus aber genauer anschaue, wird klar: Echte Nächstenliebe ist etwas Anderes:

Eine Hälfte seines Mantels abzugeben, war in der Antike weit mehr als eine Kleidersackspende oder ein Almosen. Der Mantel galt als ein Stück Eigentum, das nicht einmal verpfändet werden durfte. Besonders für einen Soldaten und für alle, die viel unterwegs waren. Der Mantel war damals nämlich nicht nur eine Schutzkleidung für den Tag, er wurde auch wie ein Schlafsack genutzt, wenn man auf Reisen war. Der Mantel war damals so wichtig, wie für uns heute das Dach über dem Kopf oder das eigene Bett. Wenn der heilige Martin also die Hälfte seines Mantels gibt, gibt er etwas von dem ab, was essentiell nötig ist zum Leben. Das ist schon eine andere Nummer als meine Spende.

Ich weiß nicht, ob ich jemals so selbstlos sein kann. Das ist ein Ideal, das ich vermutlich nie erreichen werde. Aber Martin ist ja nicht nur im materiellen Sinn großzügig. Er gibt etwas Wesentliches. Und eine Spende wird nicht erst wesentlich durch die Höhe ihres Betrags oder dadurch, wie arg ich sie im Geldbeutel spüre. Es geht um den Menschen, der Hilfe braucht, nicht um den Geber. Manche Organisationen berichten in ihren Bettelbriefen auch von einzelnen Menschen und davon, wie sie ihnen helfen konnten. Das verbindet mich dann wenigstens etwas mit den konkreten Menschen, um die es beim Spenden geht.

Deshalb gehört für mich zum Spenden dazu, dass ich sehe, wer mein Geld bekommt und was damit geschieht. Das gilt für die großen wohltätigen Organisationen, aber es gilt auch für den Bettler an der Straßenecke, mit dem ich rede, den ich frage, was er braucht und ihm dann Geld für das gebe, was ihm hilft.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34227
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