Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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02NOV2021
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Wenn meine Mutter früher das Mittagessen zubereitet hat, dann hat sie mich manchmal in den Keller geschickt um ein paar Kartoffeln zu holen. Und fast immer rief sie mir einen Satz hinterher: Aber nur die großen, hörst du? Für meine Mutter waren die viel einfacher und schneller zu schälen als die kleinen, verkrumpelten, ist ja klar. Natürlich hab ich ihr dann auch brav die dicksten Knollen rausgesucht, mich im Stillen aber doch manchmal gefragt, was denn wohl mit den Kleinen geschehen soll. Mit denen, die am Ende immer übriggeblieben sind.

Was ich damals noch nicht wusste: Durchs Kartoffelnholen hab ich schon früh ein Grundprinzip kennengelernt, das schon seit Ewigkeiten existiert. Dass nämlich vor allem die Großen, Mächtigen und Starken interessant und wichtig sind, die Kleinen, Unscheinbaren und Verkrumpelten aber oft kaum Beachtung finden. Das ist auch in einer reichen und entwickelten Gesellschaft wie der unseren nicht anders. Am Ende sind es nun mal die Wichtigen, die selbsternannten „Leistungsträger“, die im Licht stehen. Die wir kennen, die unsere Nachrichten dominieren. Der Obdachlose in der Fußgängerzone. Die alleineinziehende Mutter, die jeden Cent rumdrehen muss. Die an der Grenze gestrandete Flüchtlingsfamilie. Sie gehören nicht dazu.

In der Bibel allerdings stehen gerade diese oft vergessenen Kleinen in unzähligen Geschichten im Mittelpunkt. Zum Beispiel in jenem Lobgebet an Gott, das Christen das Magnifikat nennen. Da heißt es dann: Du stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöhst die Niedrigen. Die Hungrigen beschenkst du mit deinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen. Da ist Gott einer, der die Kleinen und Vergessenen besonders in sein Herz geschlossen hat. In der Realität unserer Welt ist es damit bis heute nicht allzu weit her. Aber die Erinnerung, dass es auch anders sein könnte und bei Gott auch anders ist, die darf auf keinen Fall untergehen.

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