Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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27OKT2021
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„Es ist alles meine Schuld!“ hat die junge Frau gesagt. Und dann hat sie erzählt, wie sie ungeplant schwanger geworden ist; und wie sie erstmal ganz panisch reagiert hat. Und wie ihr Freund sie ermutigt hat, dass sie das schon irgendwie hinkriegen werden, zusammen. Und gerade, als sie angefangen hatte, sich mit dem Gedanken an ein Kind anzufreunden, hat sie es verloren.
„Und das ist alles meine Schuld,“ hat sie gesagt, „weil ich es anfangs nicht wollte...“

Solche Situationen sind schwer auszuhalten: Wenn sich jemand die Schuld gibt für etwas, für das er oder sie doch gar nichts kann. Und am liebsten würde ich direkt eingreifen und der Person die Schuld ausreden... – Nur: Haben Sie je erlebt, dass das funktioniert? In aller Regel funktioniert es nicht. Im Gegenteil: Die meisten wenden sich enttäuscht ab und machen dicht.

Wie das kommt? Ich vermute mal: Weil sie sich nicht wirklich verstanden fühlen. Denn die Sache mit der Schuld macht oft schon einen Sinn – man kann ihn nur nicht so leicht erkennen.
Denn - so widersinnig es auch klingen mag: Schuldzuweisungen gegen sich selbst können auch so eine Art Überlebensstrategie sein: So lange man sich selbst die Schuld gibt, hat man auch noch ein letztes bisschen Kontrolle über das Leben. Und von daher ist für die Frau mit der Fehlgeburt der Gedanke „das ist meine Schuld“ womöglich erträglicher gewesen, als der Gedanke an blindes Schicksal, das wahllos zuschlägt.     

Es ist schon so: Es gibt keinen schnellen Ausweg aus einer leidvollen Erfahrung.
Und wenn ich ohnmächtig danebenstehe und so gerne helfen würde, muss ich mir immer wieder klarmachen: Keiner von uns kann den Schmerz eines anderen so rasch und effizient kleiner machen, wie wir gerne möchten. 

Und doch kann ich helfen: Indem ich ganz bewusst darauf verzichte, die Deutungen und Gefühle des anderen verändern zu wollen; und sie auch gar nicht erst bewerte. Wie das geht? Ganz einfach: Zuhören. Und das Gesagte erst einmal so stehen lassen.

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