SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

05SEP2021
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Seit einer Woche läuft die Schule wieder in Rheinland-Pfalz. Und in einer Woche geht es auch in Baden-Württemberg wieder los. Dann lernen auch die Kleinsten in den Grundschulen. Und wer die Schulbank drückt, wer sich konzentrieren soll, der braucht als Grundlage auch was im Bauch. Doch genau der knurrt bei ganz vielen Kindern.  Verschiedene Studien haben gezeigt: jedes fünfte Grundschulkind in Deutschland kommt hungrig zum Unterricht*. Ohne Frühstück und ohne Pausenbrot. Eine Zahl, die die Schauspielerin Uschi Glas nicht mehr losgelassen hat – denn ohne ein solides Frühstück lässt sich auch nicht lernen. Sie hat deshalb vor vielen Jahren den Verein „brotZeit“ gegründet, der heute täglich über 10.000 Grundschülern in ganz Deutschland ein Frühstück in Schulen anbietet. Oder aktuell wegen Corona auch Frühstückstüten to go.

Wie kam es dazu? Uschi Glas fuhr mit ihrem Auto an einem herrlichen Tag mit weiß-blauem bayerischen Himmel durch die Münchner Ludwigsstraße und dachte sich dabei: „Mein München ist schon cool!“  Und dann hörte sie plötzlich im Radio: „In München gibt es 3.000 hungernde Grundschulkinder“.  Uschi Glas war geschockt und sperrte die Ohren auf. Die Nachricht machte was mit ihr, sie sagt: „Plötzlich war ich ganz woanders. Und hab gedacht: Was? Das ist mir reingeschossen ins Herz. Und ich denke tatsächlich: es war ein Wink vom lieben Gott, das war jetzt ein sogenannter Weckruf.“**

Und dieser Weckruf lässt sie nicht mehr los, sie hat den Verein „brotZeit“ gegründet und seitdem engagiert sie sich dafür, dass benachteiligte Schülerinnen und Schüler durch Brot, Zeit und Zuwendung mehr Chancengleichheit erfahren.

In den katholischen Gottesdiensten wird heute eine Bibelstelle (Markus 7, 31-37) vorgelesen, in der Jesus einem Menschen die Ohren öffnet. Einem Mensch, der zuvor taub war:  „Effata“ sagt Jesus zu ihm, das ist aramäisch und bedeutet „Öffne dich!“  Und der Taube kann wieder hören.  Als Effata-Ritus spielt diese Erzählung aus dem Markusevangelium auch in der Taufe eine wichtige Rolle – da wird zu dem Menschen, der getauft wird, gesagt: „Effata“ , um deutlich zu machen, dass sie oder er die Ohren für Gottes Wort offen hält. Dass er oder sie aufmerksam ist für die Not der Mitmenschen. Und so in der Welt von heute den christlichen Glauben immer wieder versucht zu leben.

In den Sonntagsgedanken geht es heute darum, dass Gott unsere Ohren öffnen will für das, was in der Welt um uns herum los ist. Und ich glaube, dass das auch geschieht: Dass Gott uns Ohren geschenkt hat, die sich für die Not anderer öffnen.  Ohren, die zuhören, wenn Menschen in Not sind. Wenn sie einfach mal reden möchten. „Öffne dich“ – ein Programm, das jede und jeder von uns umsetzen kann an dem Ort, an den sie oder er gestellt ist. Dafür muss ich keine Schauspiellegende sein wie Uschi Glas, die das mit ihrer Organisation „brotZeit“ für hungrige  Grundschulkinder in ganz Deutschland tut.  Jede und jeder kann hören,  wo jemand heute Hilfe braucht. 

Aber ich gebe auch zu: das ist gar nicht so einfach, vor allem in diesem Katastrophensommer, in dem ich geballt wie noch nie zuvor von Elend erfahre. Oft würde ich da gerne die Nachrichten einfach mal auslassen. Weil meine Ohren und mein Kopf  voll sind. Wieder steigende Coronazahlen und mehr Menschen auf Intensivstationen,  die Flutkatastrophe an der Ahr und das Erdbeben auf Haiti, die Hungersnot in Ostafrika, die Situation in Afghanistan,...die Not auf dieser Erde scheint kein Ende zu nehmen. Und auch abseits der Schlagzeilen gibt es so viele Menschen, die darauf warten, dass jemand genauer hinhört. Dass sie jemand versteht. Dass ihnen jemand ein gutes Wort ins Ohr sagt, dass dann ins Herz geht.

Nichts hören, nichts sehen, nichts reden – wie das berühmte Affentrio: das jedenfalls ist keine  Alternative. Und schon gar keine im Sinne Jesu, der Menschen die Ohren füreinander geöffnet hat. Dicht machen und einfach nicht mehr hinhören, wenn Not unser Ohr erreicht, das ist nicht das, was Gott von uns will. Aber woher dann immer wieder neu die Kraft nehmen?

Das geht für mich nur, wenn ich auch offene Ohren habe für die Frohe Botschaft, die Gott mir zuspricht. Dass ich die Welt nicht alleine retten muss und kann. Dass ich schon längst erlöst bin. Dass Gott selbst bei jedem Einsatz für eine bessere Welt mit dabei ist. Und dass dieser Gott auch meine eigenen Sorgen hört. Dass er auch mir zuhört, wenn ich nicht mehr weiter weiß. Dass ich ihm auch meine Hilfslosigkeit und Ohnmacht hinwerfen kann und ich darauf vertraue, dass er sich das anhört.

Uschi Glas antwortet auf die Frage, ob Gott eine Rolle für ihr Engagement spielt, mit einem klaren Ja. Sie sagt: „Das gibt einem ja Kraft. Dass du einfach beschützt und behütest bist. Wenn ich das nicht hätte und ich das nicht empfinden könnte, dann weiß ich nicht, ob ich das alles schaffen würde. Aber so denk ich mir: Doch, das kriegen wir hin.“ **

Diese Zuversicht aus dem Glauben,  die finde auch ich ganz wichtig. Und ich kann sie neu gewinnen, wenn ich meine Ohren auch bewusst  öffne für das Schöne, was es ja in Gottes Schöpfung  ebenso gibt: dass ich Musik höre, die mir gut tut.  Oder ein spannendes Feature im Radio. Dass ich gute Gespräche führe. Und dass ich auch das Zwitschern der Vögel oder das Lachen der Kinder nicht überhöre. Auch dafür spricht Gott mir zu: Öffne dich. Und lass es dir gut gehen. Gerade heute am Sonntag, aber auch immer wieder mitten im Alltag. Diese Erfahrung  wünsche ich auch Ihnen. Und einen gesegneten Sonntag!

* https://www.brotzeitfuerkinder.com/

** https://www.kirche-im-swr.de/?page=beitraege&id=30266

https://www.kirche-im-swr.de/?m=33871
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