SWR1 Anstöße sonn- und feiertags

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05SEP2021
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Der Psychiater Michael Lehofer hat in einem Interview gemeint, viele Probleme in Partnerschaften kämen daher, dass die Menschen sich selbst nicht genug lieben können. Mich hat das überrascht. Sollte es in einer Partnerschaft nicht eigentlich darum gehen, den jeweils anderen zu lieben? Ein Geben und Nehmen also? Und gerade nicht darum, mich zuerst mal selbst zu lieben? Wörtlich sagt Michael Lehofer: „Wenn es uns an Selbstliebe mangelt, dann verlangen wir vom Partner, dass er das kompensiert, was wir in uns selbst nicht finden.“ Mit anderen Worten: Wenn ich mich selbst nicht lieben kann, dann brauche ich den anderen, damit er diesen Mangel ausgleicht. Eine Beziehung wäre dann aber so etwas wie ein stillschweigender Handel. Eine Art Deal. Die ständige Erwartung an den Partner, die Partnerin, doch bitte verlässlich zu liefern bei der Liebe. Weil ich sie brauche wie der Süchtige den Stoff. Und weil ich sie mir selbst nicht geben kann.

Liebe ist aber keine Handelsware. Ich kann sie weder kaufen noch dem anderen abringen. Liebe ist immer frei. Ein wunderbares Geschenk, auf das ich keinen Anspruch habe. Dass ich erst wirklich als Geschenk empfangen kann, wenn ich nicht darauf angewiesen bin.

Was der Psychiater Lehofer zur Partnerschaft da sagt, dass hilft mir aber auch, den Kernsatz des Christentums besser zu verstehen. Den wunderbaren und oft so schwer zu lebenden Anspruch, dass ich den Nächsten lieben sollte wie mich selbst. Denn beides gehört zusammen. Wer sich selbst nicht lieben kann, der wird auch einen anderen nur schwer vorbehaltlos lieben können. Der Satz fordert mich also geradezu auf, mich auch selbst mehr lieben zu lernen. Zum Beispiel dadurch, dass ich mir meine Fehler vergeben lerne. Dass ich mich nicht von jeder Kritik und jedem Anspruch in Frage stellen lasse. Und vielleicht klappt es dann ja nicht nur besser mit dem Lieben, sondern auch mit dem Geliebtwerden.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=33851
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