SWR2 Wort zum Tag

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19JUN2021
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Manchmal muss man der Gegenwart mit Utopien widersprechen. Das tut die Bibel mit prophetischen Sprüchen, manchmal auch verpackt in einem scheinbar ganz trockenen Gesetzestext. Einer davon findet sich im 3. Buch Mose, einem Werk, das sich nicht durch übermäßige Spannung auszeichnet – es sei denn, man ist ein Mensch, der gerne Paragraphen schmökert. Doch im 3. Buch Mose, Kapitel 25 findet sich etwas ganz Aufregendes, das sogenannte Sabbat- oder Erlassjahr wird als Gesetz eingeführt. Im 3. Buch Mose wird gesetzlich festgelegt, dass es alle sieben Jahre eine Erntepause für das Land geben soll und dass jeder Schuldner im Erlassjahr wieder zu seinem Besitz kommen soll. Das Gesetz ist also eine Art geregeltes Privatinsolvenzverfahren für Mensch und Landschaft. Was für eine grandiose Idee!

Dieses Gesetz ist allerdings eine Utopie. Es wurde in der Realität wohl nie so umfassend umgesetzt. Trotzdem hat dieses Erlassjahr als Idee eine ungeahnte Kraft entfaltet, als eine Utopie, die die bedrückende Gegenwart in Frage stellt. Warum muss es so sein, dass Menschen in der Schuldenfalle stecken bleiben, warum muss es sein, dass eine Landschaft ausgebeutet wird? Es könnte und sollte ganz anders sein, sagt das Gesetz, und damit stellt es die Gegenwart in Frage. Heute wissen wir, dass dieses Gesetz eine tiefe Weisheit hat, sowohl aus biologischer als auch ethischer Perspektive, und seine Ideen sind teilweise auch umgesetzt worden. Die ökologische Landwirtschaft arbeitet mit Fruchtfolgen, genauso wie die früher übliche Dreifelderwirtschaft. Und im Grunde ist jedes Privatinsolvenzverfahren eine moderne Interpretation des 3. Buch Mose, indem es überschuldeten Menschen die Chance gibt, ganz neu anzufangen. Das gilt hier in unserer sozialen Marktwirtschaft. Doch längst nicht in allen Ländern ist das so. Für viele Menschen gibt es weiter die Schuldenfalle und ein Leben, in dem sie nie befreit werden von einer schier unüberwindlichen Schuldenlast.

Übrigens weiß auch das Gesetz aus der Bibel um die ängstliche Sorge, dass die Nahrung im Erlassjahr nicht reichen könnte. Es reicht, meint die Bibel. Ihr werdet genug haben. Ihr könnt es euch leisten, zu entlasten, eine Pause einzulegen, Schulden zu erlassen. „Ich will meinen Segen über euch legen“ verspricht Gott, so dass die Menschen sich das Sabbatjahr leisten können.

Es geht auch ganz anders, sagt das Gesetz aus der Bibel. Es geht anders, als die Macht des Faktischen es zu behaupten scheint. Es geht menschlicher. Es geht sozialer. Es geht ökologischer. Die Bibel meint: Das hat etwas mit Gott zu tun, mit seinem guten Willen für die Menschen und die Schöpfung.

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