SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

10JAN2021
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Die junge Frau strahlt. Glücklich sieht sie aus. Sie ist am Ziel. Sie ist jetzt getauft. Noch heute, viele Jahre später kann ich mich an diesen Augenblick erinnern. An den Applaus der Gottesdienstbesucher, an das Leuchten in ihren Augen. Ein paar Monate zuvor hatte sie plötzlich vor der Tür des Pfarrhauses gestanden, in dem ich damals wohnte. Als Kind, so erzählte sie mir, sei sie nicht getauft worden. Ihre Eltern hätten ihr diese Entscheidung überlassen wollen. Die Frage habe sie über die Jahre aber immer wieder umgetrieben und nun habe sie für sich entschieden. „Ich möchte gerne getauft werden“, sagte sie fest entschlossen. In den folgenden Monaten haben wir uns dann getroffen, immer wieder miteinander geredet. Über die Taufe, in der ein Mensch enge Gemeinschaft mit Gott eingeht. Und wir haben darüber geredet, was sie dazu bewogen hat, was sie sich erhofft, sich wünscht. Geglaubt hatte sie schon länger, und mit den Idealen, die Jesus gepredigt und vorgelebt hat, konnte sie in ihrem Leben ganz viel anfangen. Längst waren die ihr Orientierung und Halt geworden. Nur formal gehörte sie der Gemeinschaft der Christen eben noch nicht an. Ein zentraler Wunsch von ihr damals ist mir deshalb gut in Erinnerung geblieben: „Ich möchte dazu gehören“, sagte sie, „also ganz, zu 100 Prozent.“

Über diesen Wunsch habe ich in den vielen Jahren, die seitdem vergangen sind, immer wieder mal nachgedacht. Wann gehöre ich dazu und wann nicht? Und wie wichtig ist das eigentlich, irgendwo dazuzugehören? Ich glaube, dass wir Menschen das einfach brauchen. Teil einer größeren Gemeinschaft zu sein, dazuzugehören. Zu meinem Verein, mit dem ich jedes Wochenende mitfiebere. Zu der Dorfgemeinschaft, in der ich lebe. Zur Glaubensgemeinschaft, die mir Orientierung und spirituelle Heimat gibt. Und im Kleinen und Privaten gehört auch meine Familie dazu. Denn wo ich dazugehöre, bin ich nicht mehr allein. Da weiß ich Menschen an meiner Seite, die ähnlich ticken, ähnlich empfinden wie ich. Die meine Ansichten teilen, meine moralischen Maßstäbe. Da, wo sie sind, fühle ich mich angenommen.

Wer sich taufen lässt, dem wird gesagt, dass er nun, wie es heißt, „in der Freiheit der Kinder Gottes“ leben darf. Als Teil dieser großen Gemeinschaft, die sich Kirche nennt. Rückgängig machen kann ich die Taufe nicht mehr, mich frei aus der Gemeinschaft verabschieden allerdings schon. Aber, wenn ich es möchte, auch immer wieder frei zu ihr zurückkommen.

MUSIK

Die Kirchen feiern heute das Fest der Taufe Jesu. Da geht es um die biblische Geschichte, in der Jesus sich selber hat taufen lassen. Wie er zum Jordan herunterging, wo ein Täufer namens Johannes predigte und Menschen taufte. Und wie sich dann auch Jesus von ihm taufen lässt. Was Johannes da gepredigt hat, muss Jesus angesprochen haben. Johannes hatte die Leute zur Umkehr aufgerufen. Sie sollten ihr Leben überdenken. Und wenn sie vom Weg abgedriftet waren, dann sollten sie umkehren, einen Neuanfang versuchen. Das Zeichen dafür sollte die Taufe sein. Mit dem Wasser würde quasi das Alte abgewaschen und der Mensch könnte frisch und rein neu beginnen. Wer sich von ihm hat taufen lassen, wollte damit zeigen: Ja, genau das will ich versuchen. Nach seiner Taufe, so erzählt es die Bibel, ist Jesus dann selber losgezogen und hat Menschen ermuntert umzukehren. Ihrem Leben nochmal eine neue Richtung zu geben. Aber anders als Johannes. Der hatte den Leuten mit Strafe gedroht, wenn sie es nicht tun. Jesus versucht es anders herum. Er sagt ihnen vielmehr: „Merkt ihr nicht, dass das Himmelreich schon zum Greifen nah ist. Dass ihr es in eurem Leben finden könnt, wenn ihr nur wollt.“ Wie, das hat er ihnen nicht nur in vielen Geschichten erzählt, sondern auch praktisch vorgelebt. In aller Konsequenz, bis zum Schluss. Menschen getauft hat Jesus selber nie. Aber er hat unermüdlich um sie geworben mit Liebe und mit Geduld.

Die Kirchen haben das in den folgenden Jahrhunderten leider oft vergessen. Haben stattdessen Druck und Zwang aufgebaut. Haben Menschen bedroht und bedrängt. Und manche von ihnen auch gegen ihren Willen getauft. Fast so, als ob das irgendein magisches Ritual wäre, durch das ganz alleine alles gut wird. Wird es aber nicht. Denn bevor ich mich taufen lasse, habe ich meistens einen längeren Weg hinter mir. Habe mich entschieden, es mit dem Vertrauen auf Gott zu versuchen und mit den Idealen, die Jesus vorgelebt hat. So wie die junge Frau, die damals vor mir stand. Und wer, so wie ich, als Baby getauft worden ist? Nun, der hat diesen Weg noch vor sich. Aber auch die freie Entscheidung, ob er oder sie ihn gehen will oder eben nicht. Mir persönlich tut es gut dazuzugehören, zu wissen, dass ich Teil dieser riesigen und letztlich ziemlich bunten Gemeinschaft Kirche bin. Auch wenn ich mich über manche ihrer Vertreter manchmal maßlos ärgere. Eine Gemeinschaft gleichförmiger Jasager war die Kirche nämlich noch nie. Aber ohne diese bunte Gemeinschaft würde es mir wahrscheinlich schwerfallen mit dem Glauben. Ohne Menschen an meiner Seite, die mit mir an diesen Gott glauben. Mit mir auch an ihm zweifeln, und manchmal vielleicht verzweifeln. Die mich aber wissen lassen: Was immer auch kommt, du gehörst dazu.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32382
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