SWR2 Wort zum Tag

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26DEZ2020
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Heute ist mein Namenstag. Und ich bin stolz auf meinen Namenspatron, den heiligen Stephanus. Weil er viel Mut gehabt hat. Er ist der erste Christ, der für seinen Glauben ermordet wurde. Er gilt deshalb als „Erzmärtyrer“.

Wofür der heilige Stephanus einsteht, wird in dem Moment am deutlichsten, als er ermordet wird und stirbt. Er bleibt auch da seiner christlichen Überzeugung treu und bittet noch für seine Verfolger um Vergebung.

Für mich, der ich nicht mit einer Verfolgung als Christ rechnen muss, ist Stephanus auch in einer anderen Sache ein Vorbild: In der Apostelgeschichte wird geschildert, wie Stephanus mit seinen Kritikern in die Diskussion geht. Und da wirkt er so überzeugend, dass es heißt, seine Gegner konnten seinem Geist und seiner Weisheit nicht widerstehen (Vgl. Apg 6,10). Offensichtlich überzeugt er nicht durch Polemik, Rechthaberei oder Lautstärke. Diese Mittel sehe ich heute bei vielen Diskussionen, die mir nicht gefallen. Egal, ob bei sogenannten „Querdenkern“ oder wenn Parlamentarier im Bundestag bedrängt werden.

Stephanus überzeugt anders. Er hat eine Vision, also eine klare Vorstellung von dem, wofür er sich einsetzt. Auch das beschreibt die Bibel, wenn sie sagt, dass Stephanus noch im Sterben „den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes“ (Apg 7,56) sitzen sieht. Mich überzeugt das. Es ist ein klares Bekenntnis zu Jesus. Unter einem offenen Himmel.

Dieser offene Himmel ist für mich ein Bild dafür, dass auch die, die anderer Meinung sind als ich, als Menschen einen Platz haben bei Gott. Ich bin überzeugt, dass Gott will, dass alle Menschen ein gelingendes Leben haben und sich entfalten können. Dazu hat er uns geschaffen und deshalb holt er sich den Menschen an seine Seite. Wenn ich mich als Mensch entfalte, muss ich mir im klaren sein: Ich kann mich irren. Ich muss mit anderen um die Wahrheit ringen. Und wenn ich dabei nicht starr auf meiner Position bestehe, kann ich dazu lernen. Das gelingt am besten, wenn ich die andere Seite anhöre, die Gegenargumente abwäge, und verstehen will, welche Bedürfnisse der andere in seiner Meinung zur Geltung bringen will. Selbst bei sogenannten „Querdenkern“ stecken vermutlich ernste Bedürfnisse hinter den Ideen, die mir so abstrus erscheinen.

Wenn ich das ernst nehme heißt das nicht, dass ich meine Position einfach aufgebe. Aber wenn ich überzeugen will, dann weil das wovon ich rede, dieser Vision vom Menschen entspricht, der neben Gott einen Platz hat und respektiert wird. Und dieser Respekt soll sich auch daran zeigen, wie ich mit anderen rede.

Dass Gott mich also auf meinen krummen Wegen gewähren lässt und unterstützt, ist ein Teil seiner Weisheit. Weil er alles zum Guten führen kann.

Jesus ist das erste Exemplar der Gattung Mensch, der das verkörpert. Das erkenne ich daran, wie er allen Menschen mit Wohlwollen begegnet ist. Das ist gemeint, wenn es heißt, dass Stephanus den Menschensohn an der Seite Gottes sieht.

Der heilige Stephanus zeigt mir so, worum es geht, wenn ich ein Glaubenszeuge, ein Märtyrer sein will: Nicht einer von diesen Fanatikern, die die Meinung der anderen nicht gelten lassen, sondern einer, der wie Stephanus für seine Sache einsteht: Indem er eine Gesprächskultur übt, die im besten Fall mit Weisheit überzeugt, und einer, der selbst denen, die ihn hassen, noch mit Wohlwollen und Vergebung begegnet.

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