Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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04DEZ2020
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Das kleine Mädchen geht mir nicht aus dem Sinn: Es kauert barfuß im Flüchtlingslager von Moria am Boden und reckt zwei Fingerchen als Siegeszeichen in die Kamera. Wahrscheinlich ist diese Kinderhand längst müde und resigniert nach unten gesunken. Nach dem verheerenden Brand des Lagers im September wurde daneben ein neues Camp, Moria II, aus dem Boden gestampft. Die Zelte liegen nahe an der Küste, nicht beheizbar, den heftigen Winterstürmen ausgesetzt und von Überschwemmung bedroht. Auch hier reichen die sanitären Anlagen nicht aus. Das Lager ist mit Stacheldraht eingezäunt, ein riesiger Abschiebe-Knast. Die Hoffnung des kleinen Mädchens und der über 20. 000 in Moria eingepferchten Bewohner, endlich in einem europäischen Land Aufnahme zu finden, ist vom Winde verweht.

Mir kommen Maria und Josef in den Sinn: Kein Platz in der Herberge! Das war damals nicht wahr und ist es heute erst recht nicht! Es wäre ein Leichtes, 20. 000 Flüchtlinge auf die Länder Europas zu verteilen und sie zu integrieren. Allein in Deutschland sind 170 Kommunen bereit, ein humanes Zeichen zu setzen und Flüchtlinge von den griechischen Inseln aufzunehmen. Für wenige besonders Schutzbedürftige wird dies nun genehmigt. Man will kein Exempel statuieren, damit nicht wieder Millionen übers Mittelmeer angeschwommen kommen.

„Kein Weihnachten auf Moria“, fordern katholische Verbände und die Diözese Rottenburg-Stuttgart. Moria ist ihrer Meinung nach zum Sinnbild „einer verfehlten EU-Migrations- und Asylpolitik“geworden. Sie fordern auf, die Abgeordneten mit den Zuständen auf Moria zu konfrontieren. Die sollen im Parlament darauf drängen: Kein weiteres Weihnachten auf Moria!

Nun steht Weihnachten vor der Tür, aber die Flüchtlinge auf Moria bleiben außen vor. Das „Christliche Abendland“ ist nicht willens, der Forderung Jesu nachzukommen, Fremde aufzunehmen und Obdachlose zu beherbergen, wie es im Evangelium heißt (Matthäus-Evangelium 25,35).

Als Getaufte sollten wir uns stets bewusst bleiben, dass Jesus – kaum geboren – schon selbst zum politischen Flüchtling geworden ist. Unsere Treue zu Christus bewährt sich auch und gerade darin, für eine humane Flüchtlingspolitik einzutreten.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32138
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