Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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22SEP2020
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Peter ist 12 Jahre alt. Er hat drei Brüder und eine Schwester. Wenn der Vater Schokolade kauft, bekommt die Schwester immer eine Tafel für sich alleine und die vier Brüder eine zusammen. Peter findet das total ungerecht. Er hat keine Chance vom Vater verstanden zu werden, aber er wehrt sich heimlich. Im Keller steht ein alter Kühlschrank. Dort bunkert er jede Schokolade, die er kriegen kann. Irgendwann sind es 400 Tafeln, immer wieder von Peter gezählt. Gegessen hat er nur ganz wenige. Alle anderen hat er einfach verteilt. Diese Geschichte ist kaum zu glauben. Aber sie ist wahr. Kinder haben ein sehr ausgeprägtes Empfinden dafür was gerecht ist. Sie können erfinderisch sein, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen. 

Ich bin Grundschullehrerin. Weil Kindern das Gerechtsein so wichtig ist, habe ich wieder angefangen mich damit zu beschäftigen. Denn das Thema war für mich durch.Mein Standardsatz dazu war in den letzten Jahren: Gerechtigkeit gibt es nicht. Denn das Leben ist nicht gerecht, wenn ein fünfjähriges Mädchen unheilbar an Krebs erkrankt; solange Menschen verhungern und Frauen für dieselbe Arbeit schlechter bezahlt werden als Männer.

Aber Gerechtigkeit ist ein Grundbedürfnis. Und einer der Namen Gottes.

Als Sonne der Gerechtigkeit wird Gott besungen. Wie kann man sich diese Gerechtigkeit vorstellen? 

Die Kinder in meiner Klasse sagen: Gerecht ist jemand, der keinen benachteiligt. Gerecht ist jemand, der alle versteht und sich nicht auf eine Seite stellt. Gerecht ist jemand, der immer den passenden Ton findet. Der Schokoladensammler Peter sagt heute als erwachsener Mann: gerecht hätte ich gefunden wenn mein Vater mir erklärt hätte, warum er die Schokolade so verteilt. Gerecht wäre gewesen wenn mein Vater verstanden hätte, dass mir das stinkt.

Einer der gerecht ist muss also nicht alle gleich behandeln. Einer der gerecht ist, braucht ein großes Herz, das sich in andere einfühlen kann. Einer der gerecht ist, interessiert sich dafür warum sich ein Mensch verhält, wie er sich verhält ohne vorschnell zu urteilen. Auf diese Weise haben mir meine Schüler wunderbar einfach erklärt wie man sich die Gerechtigkeit Gottes vorstellen kann.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31710
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