SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

18SEP2020
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Die Hagia Sophia ist wieder eine Moschee. Dieses Gebäude, das von Christen und Muslimen so lange schwer umkämpft war, ist jetzt wieder auf eine einzige Religion festgelegt. Wie weise und vorausschauend war im Vergleich dazu die Entscheidung von Kemal Atatürk, der diesen Zankapfel schon am Anfang des letzten Jahrhunderts zu einem neutralen Ort gemacht hat: zu einem Museum.

Ich habe sie ein paar Mal als Tourist besucht. Selbstverständlich habe ich als Christ mir vorgestellt, wie in der Hagia Sophia vor langer Zeit christliche Gottesdienste stattgefunden haben, als sie noch eine Kirche war. Aber die großen Tafeln mit den arabischen Schriftzeichen, die den Namen Allahs, des Propheten Mohammeds und seiner Gefährten benennen, haben mich immer wieder zurückgeholt: In die Zeit, in der sie 1453 von Muslimen erobert und zur Moschee wurde, bis dahin, als ich sie als Tourist besichtigen konnte. Das soll zwar jetzt, wo sie wieder eine Moschee ist, auch noch möglich sein, aber es bleibt eigenartig.

Für mich ist das wie ein Rückschritt in Zeiten, wo Muslime und Christen sich bekämpft haben, anstatt miteinander im Dialog zu sein. Allein schon die Bereitschaft zum Dialog ist für mich fast schon ein Beweis dafür, dass die Vertreter einer Religion auf dem richtigen Weg sind, weil sie ahnen, dass Gott unbegreiflicher ist als ihre Religion ihn zu fassen versucht. Lange Zeit habe ich gedacht, dass wir Christen hier einen Pluspunkt zu verbuchen haben und fortschrittlicher sind.

Bis ich vor ein paar Jahren beinahe am anderen Ende von Europa die Gegenseite kennengelernt habe. Wer nämlich in Cordoba die Mesquita besucht, steht heute in einer katholischen Kathedrale, die an der Stelle erbaut ist, an der man eine prächtige Moschee abgerissen hat. Übrig sind arabische Säulenhallen, die die gotische Kirche einrahmen. Als Besucher lese ich im Kirchenführer der Diözese Cordoba, dass dieses Gebäude den Sieg des katholischen Glaubens über den Unglauben zeigt. Auch nicht besser.

Ich frage mich, wieso wir Christen uns hier nicht mehr an Jesus orientieren. Er ist ja auch Menschen begegnet, die anders als er geglaubt haben: einem römischen Hauptmann, einer samaritischen Frau und einer Frau aus Syrien, die alle einen anderen Glauben hatten. Er hat sie akzeptiert wie sie sind und mit ihnen darüber gesprochen, was ihnen Hoffnung gibt und woran sie glauben. Ohne sie auf seine Seite ziehen zu wollen. Ich finde, so könnte es doch auch gehen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31707
weiterlesen...